72 Jas Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 24. 25.)
Abg. Fischbeck (fr. Vg.): Die Vorlagen seien zur Konservierung
des geltenden Wahlunrechts bestimmt. Warum nehme man nicht Rücksicht
auf andere große Städte als Berlin? Man müsse auch der Sozialdemo-
kratie eine parlamentarische Vertretung gewähren. Abg. Irmer (kons.):
Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts wäre ein Unglück; es sichere
nicht etwa eine gerechte Vertretung, denn daß Hamburg und Berlin sozial-
demokratische Reichstagsabgeordneten hätten, sei ungerecht. Abg. Krause-
Königsberg (ul.): Die Vorlage sei ungenügend; Hunderttausende hätten
faktisch kein Wahlrecht; man müsse ihnen ihr Recht verschaffen ohne Rück-
sicht auf den Ausfall der Wahlen. Abg. Frhr. v. Zedlitz (frk.) stimmt dem
Minister zu. Das Landtagswahlrecht, das die Stimmen wäge und nicht
bloß zähle, stehe turmhoch über dem Reichstagswahlrecht. Eine Aenderung
der Wahlbezirke würde eine politische Uebermacht der großen Städte schaffen
und das Land auspowern. Abg. Porsch (Z.) stimmt den Vorlagen im
wesentlichen zu, fordert aber von der Regierung eine umfassende Reform
des Dreiklassenwahlrechts. — Die Vorlage wird an eine Kommission
verwiesen.
24. März. (Herrenhaus.) Finanzkommission. Ausländische
Studenten.
In der Etatsberatung wird betont, daß die größte Vorsicht bei der
Aufnahme von Ausländern an den Universitäten und Technischen Hoch-
schulen namentlich mit Rücksicht auf den fragwürdigen politischen Charakter
eines Teiles dieser Studenten geboten sei. Kultusminister Dr. Studt: Die
Unterrichtsverwaltung sei nicht ohne Erfolg bemüht gewesen, lästige aus-
ländische Elemente von den Hochschulen und Technischen Hochschulen fern-
zuhalten. In letzteren seien die wissenschaftlichen Anforderungen bei der
Aufnahme erheblich erhöht worden, wodurch man eine große Zahl von
russischen Studenten, die wegen der dortigen Wirren zu uns gekommen
seien, nach Frankreich und der Schweiz abgelenkt worden seien. Die dif-
ferenzielle Behandlung der Ausländer sei allerdings vollkommen gerecht-
fertigt. Freilich dürfe man das ausländische Element nicht prinzipiell aus-
schließen. Manche ausländische Studenten, so aus England, den skandi-
navischen und einigen südslawischen Staaten seien aus politischen und
anderen Gründen uns willkommen. Die russischen Elemente erfordern be-
sondere Vorsicht, doch seien Uebelstände bisher nicht hervorgetreten.
25. März. (Bochum.) Eingabe von Bergarbeiterversamm-
lungen von Regierung und Landtag.
Die Bergarbeiter verlangen, das von der Landtagskommission aus
der Regierungsvorlage ausgemerzte geheime Wahlrecht bei den Knappschafts-
wahlen; ferner Sicherung der Arbeitervertreter gegen Maßregelungen, so-
wie aktives und passives Wahlrecht auch für Invalide und protestieren da-
gegen, daß die Beamten das Recht einer Sondervertretung im Knappschafts-
vorstand haben sollen. Die Regierung soll die preußische Knappschaftsreform
kassieren und dafür einen Gesetzentwurf auf reichsgesetzliche Regelung des
Knappschaftswesens einbringen.
25. März. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ schreibt
über deutschfeindliche Strömungen in Rußland:
Dem Beobachter der Geschehnisse in Rußland konnte die Tatsache
nicht entgehen, daß in neuerer Zeit ein größerer Teil der russischen Presse
wieder mit Vorliebe in deutschfeindlichen Ergüssen schwelgt. Es ist dies
um so auffälliger, als mit Ausnahme der sozialdemokratischen Blätter