Das Venische Reih und seine einjelnen Glieder. (Juli 4.) 129
4. Juli. (Reichstagswahl.) Bei der Ersatzwahl in Olden-
burg 3 erhält Graf Galen (3.) 14909, Wöbken (nl.) 686 Stimmen.
4. Juli. (Württemberg.) In der Zweiten Kammer sagt
Ministerpräsident v. Weizsäcker über Verhandlungen zur Eisenbahn-
gemeinschaft:
Der Verlauf der Verhandlungen zerstreute unsere Bedenken nicht,
die dahin gehen, daß auf der Grundlage des bayerischen Vorschlages einer
Güterwagengemeinschaft eine dem nationalen Gedanken entsprechende wirk-
same und festgefügte Gemeinschaft nicht zu erreichen ist. Die Frage der
Betriebsmittelgemeinschaft oder einer sonstigen wirksamen Gemeinschaft kann
von Württemberg nicht als erledigt angesehen werden. Es behält sich vor,
zu einem geeigneten Zeitpunkt auf diese Angelegenheit zurückzukommen.
Selbstverständlich ist Württemberg bereit, wie bisher, sich in loyalster Weise an
den weiteren Arbeiten für die Frage der Güterwagengemeinschaft zu beteiligen.
— Ich begrüße es, daß der preußische Eisenbahnminister es anerkannt hat,
daß die württembergische Regierung in dieser Frage die Initiative er-
griffen hat, daß er sagte, sie habe sich ein Verdienst mit der Aufrollung
dieser Frage erworben. Wir verfolgen bloß sachliche Zwecke und haben
nicht die Absicht, uns unnötig in den Vordergrund zu stellen. Wir be-
gnügen uns zunächst mit dieser Anerkennung. Es soll uns sehr freuen,
wenn sich nun andere Seiten ihrerseits ein Verdienst in dieser Sache er-
werben würden.
Juli. (Preußen.) Kritik der Dänenpolitik.
Bei einem Festmahl der schleswig-holsteinischen Landwirtschafts-
kammer in Hadersleben sagt Oberpräsident v. Bülow in einer Tischrede:
Wir weilen hier in einer ganz besonderen Gegend, unter einer Be-
völkerung, die uns noch fremd gegenübersteht, weil sie eine andere Sprache
spricht. Dennoch dürfen wir nie vergessen, daß es unsere Landsleute sind.
Ich in meinem Amt muß ja besonders darüber nachdenken; mir müssen
sie besonders am Herzen liegen. Kenner dieser Bevölkerung sprechen ihr
sehr viele gute Eigenschaften zu. Dürfen wir sie nun verständnislos be-
handeln, bloß weil sie eine andere Sprache reden und noch nach dem
nördlichen Nachbarlande hinübersehen? Ich sage: nein! Will man Ver-
trauen erwecken, so muß man selber zuerst Vertrauen zeigen. Dieser all-
gemein mensschliche Satz gilt auch hier. Was wir säen, werden wir auch
ernten. Genau das! Also wir wollen säen, nicht was uns scheidet, son-
dern was uns eint. Gemeinsam sind uns auch ja der nordische Himmel,
die Lebensbedingungen, der wirtschaftliche Betrieb. Alle sind wir ja auch
gleicher Abstammung, — ob Cimbern oder Teutonen, ob Süd= oder Nord-
germanen, gemeinsam ist uns das gleiche germanische Blut. Flachshaarig
sind die Männer, blauäugig die Frauen. Alle sind wir schleswig-holstei-
nische Landsleute. Gemeinsam ist uns dabei als fester Grund die Un-
verrückbarkeit der Landesgrenze. Die Unterschiede müssen fallen. So wollen
wir denn den Bewohnern dieser Gegend aus weitem Herzen ein Hoch dar-
bringen, wie es sich geziemt, wenn Schleswig-Holsteiner zusammenkommen.
Wir wollen den Bewohnern den Brudergruß entbieten. Unser Reich ist ja
mächtig genug. — Unsere Landsleute, ohne Unterschied, sie leben hoch! —
Diese Rede wird vielfach kritisiert als eine neue dänenfreundliche Wendung
in der Politik, die die Deutschen bennruhigen müsse; Zentrumsblätter weisen
darauf hin, daß den Polen gegenüber eine ahnliche versöhnliche Politik
nicht befolgt würde. — Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ leugnet
jeden Kurswechsel.
Europäischer Geschichtskalender. XLVIII. 9