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schädigt werden. Der Gegensatz der österreichischen Volksmehrheit zum
Deutschen Reiche wurde mit größter Schärfe hervorgekehrt. Es war der
stärkste Eingriff in die auswärtige Politik der Monarchie, der durch Weiß-
kirchners Erklärung noch verschärft wurde, indem er den österreichischen
Ministerpräsidenten verpflichtete, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen
und sich in die innere Politik Preußens einzumischen. Jeder redliche
Freund des Friedens kann sich nicht stark genug gegen die gestrige Debatte
und gegen die Worte des Präsidenten Weißkirchner verwahren.
Infolgedessen begründet Weißkirchner seine Anschauung näher
(29. Nov.): Seine Neußerungen seien weder gegen das Deutsche Reich noch
gegen das Bündnis mit demselben gerichtet gewesen. Die christlich-soziale
Partei lege vielmehr gerade auf das Bündnis allergrößten Wert, da sie in
demselben die wichtigste Friedensbürgschaft erblicke. Ebensowenig sei aus
seinen Aeußerungen eine Tendenz gegen das Deutschtum in Oesterreich
herauszulesen. Er habe lediglich aussprechen wollen, daß die berührte An-
gelegenheit, bei der ja unter Umständen auch Interessen von österreichischen
Staatsbürgern in Frage kommen könnten, im österreichischen Abgeordneten-
hause einzig und allein im Wege einer Interpellation an den Minister-
präsidenten zur Sprache gebracht werden könne.
Am 30. Nov. findet in Lemberg eine große Kundgebung gegen
Preußen, insbesondere gegen Kaiser Wilhelm und Bülow, statt. Es wird
mit Boykottierung aller preußischen Waren gedroht.
2. Dezember. (Cisleithanien.) Infolge einer Inter-
pellation der Alldeutschen über die polnisch--antipreußischen Kund-
gebungen tadelt Ministerpräsident Frhr. v. Beck scharf die Ein-
mischung in die Verhältnisse eines fremden Staates.
12. Dezember. (Cisleithanien.) Im Abgeordnetenhause
erklärt Ministerpräsident Frhr. v. Beck vor Schluß der General-
debatte über den Ausgleich:
Dieser Ausgleich sei der erste, der keine neue finanzielle Belastung
Oesterreichs im Gefolge habe; ja, die gewiß nicht zu überschätzende, aber
auch nicht zu gering zu veranschlagende Ermäßigung der Quote, sowie die
Herabsetzung der Zuckersteuer, die ja durch den Ausgleich ermöglicht würde,
bedeuteten eine jährliche Entlastung um 33 Millionen für die Bevölkerung.
Es wäre zu erwarten gewesen, daß der Ausgleich seiner Natur nach, ins-
besondere aber, weil er eine Reihe wichtiger, der Landwirtschaft direkt zum
Vorteil gereichender Bestimmungen enthalte, gerade im agrarischen Lager
eine sympathische Aufnahme gefunden hätte. Leider sei diese Erwartung
nicht in Erfüllung gegangen. Den Hauptgrund hierfür glaube der
Ministerpräsident in der Tatsache zu erblicken, daß eine Vereinbarung
über den Viehverkehr zustande gekommen sei. Er könne sich auf den von
autoritativer Seite erbrachten Nachweis berufen, daß die jetzt abgeschlossene
Viehkonvention günstiger sei, als der bisherige Zustand und alle früheren
Vereinbarungen. Nicht weniger überrascht habe den Ministerpräsidenten
die ablehnende paltung der Sozialdemokraten. Eine gewisse Enttäuschung
hätten ihm die kroatischen Abgeordneten gebracht. Freilich dasjenige, was
die kroatischen Abgeordneten eigentlich verlangten, könne weder die öster-
reichische Regierung zugestehen, noch könne es im Rahmen eines Aus-
gleichs zwischen Oesterreich und Ungarn verwirklicht werden. Nach all
dem, was Redner über den Ausgleich schon gesagt habe, glaube er die
Frage, ob ein Abgeordneter ruhigen Herzens für denselben stimmen könne,