290 Römishe Kurie. (Juli 4.)
nicht davon ausgeht — was aber historisch undenkbar ist und auch der
moralischen Gesinnung widerstreitet —, daß Christus als Mensch die
Kenntnis Gottes besesten und doch sein Wissen so vieler Dinge seinen
Schülern und der Nachwelt nicht habe vermitteln wollen. 35. Christus
hatte nicht stets das Bewußtsein seiner Messianischen Würde. 36. Die
Auferstehung des Erlösers ist nicht im eigentlichen Sinne eine historische
Tatsache, sondern eine Tatsache rein übernatürlichen Charakters, weder
bewiesen, noch beweisbar, vom christlichen Bewußtsein erst allmählich von
anderen Tatsachen abgeleitet. 37. Der Glaube an die Auferstehung Christi
betraf anfänglich nicht so sehr die Tatsache der Auferstehung selbst als
vielmehr das unsterbliche Leben Christi bei Gott. 38. Die Lehre von dem
Sühnecharakter des Todes Christi ist nicht evangelisch sondern paulinisch.
39. Die Anschauungen über den Ursprung der Sakramente, welchem die
Tridentinischen Väter huldigten, und die auf ihre Glaubenssätze zweifel-
los einwirkten, weichen weit ab von denjenigen, welche jetzt bei den Ge-
schichtsforschern des Christentums mit Recht gelten. 40. Die Sakramente
leiten ihren Ursprung darauf zurück, daß die Apostel und deren Nachfolger
irgend eine Idee und Absicht Christi auf Veranlassung und unter Ein-
wirkung der Umstände und Ereignisse ausgelegt haben. 41. Die Sakra-
mente haben nur den Sinn, daß sie die stetige wohltätige Gegenwart des
Schöpfers dem Menschen in die Erinnerung zurückrufen. 42. Die christ-
liche Gemeinschaft hat die Notwendigkeit der Taufe eingeführt, indem sie
dieselbe gleichsam als notwendigen Ritus annahm und mit ihr die Ver-
pflichtungen des christlichen Bekenntnisses verknüpfte. 43. Der Brauch,
die Taufe den Kindern zu spenden, war eine Erscheinung der disziplinaren
Entwickelung, welche als eine der Ursachen dafür anzusehen ist, daß das
Sakrament in zwei aufgelöst wurde, die Taufe selbst und dann die Buße.
44. Nichts beweist, daß schon die Apostel den Ritus der Konfirmation an-
genommen hatten; die Geschichte des Urchristentums hat auch nichts mit
der formellen Unterscheidung der zwei Sakramente der Taufe und der
Firmung zu tun. 45. Nicht alles, was Paulus von der Einsetzung der
Eucharistie erzählt (I. Kor. XI, 23—25), ist als geschichtlich aufzufassen.
46. In der Urkirche existierte noch nicht der Begriff der Aussöhnung des
christlichen Sünders durch die Autorität der Kirche, vielmehr hat die Kirche
nur sehr langsam an diese Vorstellung gewöhnt. Ja sogar, als die Buße als
eine Einrichtung der Kirche anerkannt war, hatte * nicht den Namen
eines Sakramentes, und zwar weil sie sonst für ein anfechtbares Sakra-
ment (sacramentum probrosum) gehalten worden wäre. 47. Die Worte
des Herrn: Empfanget den Heiligen Geist; deren Sünden ihr vergebt,
denen sind sie vergeben, und deren Sünden ihr behaltet, denen sind sie
behalten (Joh. XX, 22 und 23) beziehen sich keineswegs auf das Sakra-
ment der Buße, was auch die Tridentinischen Bäter behauptet haben
mögen. 48. Jakobus beabsichtigt in seinem Briefe (V. 14 und 15) nicht
irgend ein Sakrament Christi zu verkündigen, sondern eine fromme Sitte
zu empfehlen, und wenn er in dieser Sitte auch ein starkes Gnadenmittel
erblickt, so nimmt er es doch nicht mit der Strenge an, mit der die
Theologen es annahmen, welche den Begriff und die Zahl der Sakramente
aufstellten. 49. Indem das christliche Abendmahl allmählich die Natur
einer liturgischen Handlung annahm, erlangten die, welche bei dem Abend-
mahl als Vorsteher tätig waren, priesterlichen Charakter. 50. Die Aeltesten,
die in den Versammlungen der Christen ein Aufsichtsamt ausübten, wurden
von den Aposteln als Priester oder Bischöfe eingesetzt zur Wahrung der
notwendigen Ordnung in den wachsenden Gemeinden, nicht eigentlich
um die Sendung und die Gewalt der Apostel fortdauern zu lassen. 51. Die