322 Kußland. (Mai 24.—12. Juni.)
nichts unterlassen, sondern verbessern solle, was man begonnen habe. Der
Minister geht dann zu der staatlichen Hülfeleistung über. Der Staat sei
krank, und sein kränkster Teil seien die Bauern. Deshalb müsse man ihnen
helsen. Es sei vorgeschlagen, 130000 Domänen unter die Bauern zu
verteilen, aber man könne einen kranken Körper nicht wieder zu Kräften
bringen, indem man ihn mit Stücken seines eigenen Fleisches nähre. Man
müsse den Organismus aufrütteln, ihn wieder in Fluß bringen, dann
würde er selbst die Krankheit überwinden. Alle Parteien des Staates
müßten daran teilnehmen; das wäre vielleicht Sozialismus, aber Staats-
sozialismus, der schon häufig in Europa Verwendung gefunden hat. Der
Staat könnte bei uns Privatländereien kaufen, die mit den staatlichen und
kaiserlichen Domänen einen Ländereifonds bilden würden. Die Preise
würden nicht steigen, da das Angebot an Ländereien beträchtlich sei. Die
Bauern, die großen Mangel an Ländereien hätten, könnten solche unter
günstigen Bedingungen aus diesem Fonds erhalten. Die Bauern seien
zurzeit arm und könnten die hohen Prozente, die der Staat fordere, nicht
zahlen. Dieser könnte jedoch die Differenz zwischen dem Prozentsatz der
zu emittierenden Obligationen und dem Prozentsatz, der als normal an-
erkannt würde, für die Bauern übernehmen, und die Differenz könnte in
das Budget eingestellt werden. So würden alle Klassen dazu herangezogen,
den Bauern zu helfen, Land zu erwerben, dessen sie benötigten. Was die
Zwangsenteignung anbelange, so dürfe man diese nicht als Zauber- und
Allheilmittel ansehen. Die Zwangsenteignung würde in dem ruinierten
Rußland noch eine Klasse ruinierter Grundeigentümer schaffen. Die Zwangs-
enteignung könne nötig sein, aber nur in Ausnahmefällen. Stolypin schließt:
Meine Erfahrung von zehn Jahren hat mich überzeugt, daß man an der
Agrarfrage ständig arbeiten muß, daß es unmöglich ist, sie sofort zu lösen.
Wir schlagen einen bescheidenen, aber wirklichen Weg vor, die Staatsfeinde
dagegen möchten den Weg des Radikalismus, den Weg der Vernichtung
der Geschichte Rußlands und der Loslösung von seinen Kulturtraditionen
wählen. Sie wollen große Erpressungen, wir wollen ein großes Rußland.
(Beifall rechts.)
Der Standpunkt der Regierung wird von der Linken wie von den
Kadetten heftig angegriffen, sie verlangen unbedingt Zwangsenteignung.
24. Mai. Die Duma bewilligt mit 176 gegen 149 Stimmen
der Linken 17½ Millionen zur Unterstützung der von Hungersnot
betroffenen Gebiete. — Die Polen enthalten sich der Abstimmung.
25. Mai. (Finnland.) Der Landtag tritt zusammen.
28. Mai. Die Duma verwirft mit 219 gegen 146 Stimmen
einen Antrag der Rechten, den politischen Terror zu verurteilen.
1. Juni. (Peterhof.) Der Zar empfängt den Präsidenten
der Duma Golowin und 31 Abgeordnete der Rechten.
3. Juni. Die Duma verwirft den Gesetzentwurf des Justiz=
ministeriums betreffend die Verschärfung von Strafen, die auf Ver-
herrlichung von Verbrechen gesetzt sind, und nimmt den Antrag
des Unterrichtsministers an, der dahin geht, die Verfolgungen wegen
des geheimen Unterrichts in Polen einzustellen.
12. Juni. Auslieferungsforderung von Abgeordneten.