324 Rüßland. (Juni 14. 16.)
organisierten Verbände und Gruppen der ärmeren Volksklassen zum Zwecke
der Einberufung einer Konstituante und der gewaltsamen Einführung der
demokratischen Republik konzentrierten. Alle Geheimkomitees sandten ihre
Berichte dieser Vereinigung ein, die auf diese Weise über die revolutio-
nären Kräfte und Mittel Buch führen konnte. Sie berief Vertreter der
Geheimkomitees, um ihnen Instruktionen zu erteilen, und entsandte Mit-
glieder in gesetzwidrige Arbeiterversammlungen, damit sie dort Brandreden
hielten. Auch verfügte die Vereinigung über falsche Pässe, mit denen sie
solche Personen versorgte, die sich einer Verfolgung durch die Obrigkeit
entziehen wollten. Gegen 55 Dumaabgeordnete ist die Voruntersuchung
eröffnet; sie unterliegen dem Gesetze zufolge der zeitweiligen Ausschließung
von den Dumasitzungen. 16 derselben, welche an der Tätigkeit der ver-
brecherischen Vereinigung hervorragenden Anteil genommen haben, sind
auf Verfügung der Staatsanwaltschaft in Haft zu nehmen.
14. Juni. (Duma.) Forderung, Abgeordnete auszuliefern.
Um Mittag erhält der Präsident Golowin ein eigenhändiges
Schreiben des Ministerpräsidenten Stolypin, welches besagt, er habe
der Duma Mitteilungen zu machen, welche keinen Aufschub dulden, er
ersuche, ihm sofort bei Eröffnung der Sitzung der Reichsduma das Wort
zu erteilen und auf Grund des Artikels 44 die Oeffentlichkeit der Sitzung
aufzuheben wegen Zugehörigkeit von Abgeordneten zur revolutionären
Kampforganisation, sowie Vorbereitung eines bewaffneten Volksaufstandes.
— Es findet eine geheime Sitzung der Duma statt. In derselben erklären
sich gegen den Regierungsantrag die Sozialdemokraten und das polnische
Kolo; von den Kadetten ist der größere Teil für, der kleinere gegen den
Antrag. Die Minorität der Kadetten erklärt, nötigenfalls aus der Partei
austreten zu wollen. Ministerpräsident Stolypin verlangt die sofortige
Verhaftung von sechzehn sozialdemokratischen Abgeordneten, sowie die Ge-
nehmigung dazu, daß der größte Teil der übrigen Sozialdemokraten, etwa
55, zur gerichtlichen Verantwortung gezogen werde. — Nach einer zwei-
stündigen Pause wird die Sitzung der Reichsduma wieder ausgenommen.
Bei Beginn erklärt Ministerpräsident Stolypin, die von ihm gestellte
Frage müsse sofort in der Duma entschieden werden. Wenn das Haus sich
weigere, die angeklagten 16 Abgeordneten sofort abführen zu lassen, fasse
die Regierung dies als eine Erklärung auf, daß es mit der Regierung
nicht weiter arbeiten wolle. Die Regierung lehne jede Verantwortung für
die Sicherheit des Staates ab, wenn die Angeklagten nicht sofort fest-
genommen würden. Die Kadetten schlagen vor, den Antrag der Regierung
an eine Kommission zu verweisen; die Rechte und die Oktobristen stimmen
dagegen. Die Verhandlungen tragen einen äußerst stürmischen Charakter.
Den So oialdemokraten werden Landesverrat und schwerste Verbrechen vor-
geworfen. Schließlich geht der Antrag der Kadetten durch mit der Maß-
gabe, daß 22 Mitglieder in jene Kommission gewählt werden. — In der
Kommission finden heftige Debatten statt, bis zum 16. hat sich noch keine
Mehrheit für die Regierungsforderung gefunden.
16. Juni. Ein kaiserlicher Ukas löst die Duma auf. — In
einem Manifest hierüber heißt es:
Die zweite von uns einberufene Reichsduma ist zusammenberufen
worden gemäß unserem souveränen Willen, um zu der Beruhigung Ruß-
lands beizutragen hauptsächlich durch gesetzgeberisches Wirken, ohne daß
das Bestehen eines Staates und die Ausgestaltung seiner Verwaltung un-
möglich ist, ferner durch eine Prüfung der Budgeteinnahmen und aus-