Asien. (November / Dezember.) 365
auszuarbeiten. Sonst würde er sich selbst mit dieser Sache befassen. —
Das Parlament protestiert gegen diese Vorwürfe; eine Einmischung des
Parlaments in die Geschäfte der Exekutive habe nicht stattgefunden, dies
sei aber von anderen Versammlungen geschehen. Solche Versammlungen
müßten in Zukunft aufgelöst werden. Auch wird dem Schah der Vorwurf
gemacht, daß er als Haupt der Exekutivgewalt zu wenig energisch sei.
An vielen Stellen, so in Urmia und Tabris, finden Kämpfe zwischen
revolutionären und konservativen Parteien statt. (Anfangs Dezember.)
Infolge von Unruhen in Teheran gibt das Kabinett seine Entlassung,
worüber das Reutersche Bureau berichtet: Bei einer Rauferei zwischen
Soldaten und Ladeninhabern wurden jüngst zwei Ladeninhaber getötet.
Die Täter wurden in Haft genommen. Obwohl ihre Kameraden den
Verwandten der Getöteten Geld boten, bestanden diese auf der Hinrichtung
der Schuldigen. Die einflußreiche Gesellschaft der Anjumans unterstützte
ihre Forderung beim Parlament. Die Priester rieten den Anjumans ver-
gebens, sich zu gedulden und die Untersuchung abzuwarten. Die Anjumans
kümmerten sich nicht darum und baten den Schah, den Befehlshaber der
Leibwache zu verbannen und ebenso Saad ed Dauleh, den früheren Minister
des Aeußern, den sie einer Verschwörung zum Sturze der konstitutionellen
Regierung beschuldigen. Der Schah versprach, ihr Gesuch zu erwägen,
worauf das Kabinett am Sonnabend (14. Dezember) seine Entlassung gab.
Am Sonntag veranstaltete eine große Menschenmenge vor dem Parlaments-
gebäude Kundgebungen, um gegen einen weiteren Aufschub der Hinrichtung
zu protestieren. Auf dem Maidan (einem öffentlichen Platz) hielten dem
Parlament feindlich gesinnte Priester Ansprachen an das Volk. Die Basare
wurden geschlossen und Patronen an die Palastwachen und an die Kosaken
der Garnison verteilt. Gegen Sonnenuntergang drang die Nachricht zum
Parlament, daß der Schah den Premierminister, den Minister des Innern
und den Gouverneur von Schiras habe verhaften lassen. Die Nachricht
rief große Aufregung hervor. Der Präsident mahnte zur Ruhe und sagte,
er wäre sicher, daß die Sache sich in befriedigender Weise aufklären würde.
Das Parlament beschloß, den Schah nach den Gründen zu seinem Vorgehen
zu fragen und nicht auseinanderzugehen, bis die Antwort eingetroffen sei.
Infolge der Kälte zerstreute sich die Menge auf dem Maidan allmählich;
nur ein paar Hundert beabsichtigten, die Nacht dort zuzubringen. Man
glaubt, daß sich der Schah durch die Reaktionäre habe leiten lassen.
Infolge dieser Vorgänge kommt es zu Scharmützeln zwischen Freunden
und Gegnern des Parlaments in Teheran, der Schah verwendet Kosaken
gegen das Parlament, auch in Südpersien brechen Unruhen aus. Am 11.
richtet das Parlament ein Manifest an die Mächte, worin es heißt: Als
die Angelegenheiten des Reiches einem hoffnungslosen Zustande sich genähert
hatten, erkannte die Nation, daß ihre einzige Rettung in der Bildung
einer konstitutionellen Regierung läge. Der verstorbene Schah bewilligte
eine Konstitution, und der jetzt regierende Schah bestätigte sie. Aber
Personen, welche unter einem despotischen Regiment daran gewöhnt waren,
das Volk zu unterdrücken, mißleiteten unseren jungen Souverän und
brachten ihm den Glauben bei, daß die Konstitution die Ursache der gegen-
wärtigen Störungen und Schwierigkeiten sei. Die Nation wird nichts
tun, was zur Störung des Friedens führt, aber angesichts der gegen-
wärtigen Angriffe seitens übeldenkender Mitglieder der Regierung wird
die Nation die Konstitution, ihre einzige Hoffnung, aufs äußerste ver-
teidigen. Mittels dieses Manifestes macht die persische Nation allen Ge-
sandtschaften und auswärtigen Repräsentanten und Untertanen, die in
Teheran leben, die wirkliche Lage der Dinge bekannt und unterrichtet sie,