368 Machtrag zu §. 291.
sich darüber nicht wundern. Ja es ist nur zu wahr, sie sind schlimmer
als alle andern Feinde der Kirche. Denn nicht außerhalb, sondern, wie
gesagt, in der Kirche selbst schmieden sie ihre Pläne zum Verderben der
Kirche; im Blute der Kirche, in ihrem tiefsten Innern, steckt die Gefahr,
und der Schaden ist um so sicherer, je besser sie die Kirche kennen. Dazu
kommt, daß sie nicht an Aeste und Zweige, sondern an die Wurzel ihre
Hand anlegen, an den Glauben und an die tiefsten Fasern des Glaubens.
Ist aber einmal diese Wurzel des Lebens getroffen, dann werden sie das
Gift durch den ganzen Baum verbreiten; kein Stück der katholischen
Wahrheit werden sie dann unberührt, keines unverdreht lassen wollen.
Auf tausenderlei Art wissen sie zu schaden; aber dabei sind sie äußerst
gewandt und schlau. Abwechselnd spielen sie die Rolle des Rationalisten
und des Katholiken mit solcher Fertigkeit, daß sie jeden Harmlosen mit
Leichtigkeit zu ihrem Irrtum herüberziehen. Auch läßt ihre Verwegen-
heit sie vor keinen Konsequenzen zurückschrecken; mit frecher Stirn und
kaltem Blute drängen sie sogar zu denselben. Dazu kommt bei ihnen
noch ein äußerst tätiges Leben, eine ständige eifrige Beschäftigung mit
gelehrten Arbeiten aller Art und meist eine zur Schau getragene Sitten-
strenge, was alles um so leichter über sie täuschen kann. Schließlich haben
ihre Fachstudien sie dahin gebracht, daß sie keine Autorität mehr an-
erkennen, sich keine Beschränkung mehr wollen gefallen lassen; so haben
sie ihr eigenes Gewissen getäuscht und möchten das Wahrheitsdrang nennen,
was in Wirklichkeit nur Stolz und Hartnäckigkeit ist: da sollte man fast
an jedem Heilmittel verzweifeln. — Wir hatten gehofft, daß Wir diese
Männer doch noch einmal zur Besinnung bringen könnten; darum haben
Wir sie zuerst mit väterlicher Milde behandelt, dann auch mit Strenge,
und sahen Uns schließlich gezwungen, öffentlich gegen sie einzuschreiten.
Ihr wißt, Ehrwürdige Brüder, daß alles vergebens war: kaum hatten sie
für den Augenblick den Nacken gebeugt, bald erhoben sie ihn wieder mit
um so größerer Kühnheit. Handelte es sich bloß um sie, so könnte man
das vielleicht gehen lassen; aber der katholische Glaube selbst ist gefährdet.
Länger schweigen wäre Sünde; Wir müssen reden, Wir müssen ihnen vor
der ganzen Kirche die Maske herunterreißen, die doch ihr wahres Wesen
nur halb verhüllt.
Die Modernisten (so nennt man sie allgemein sehr richtig) gebrauchen
den schlauen Kunstgriff, ihre Lehren nicht systematisch und einheitlich,
sondern stets nur vereinzelt und aus dem Zusammenhang gerissen vorzu-
tragen, um den Schein des Suchens und Tastens zu erwecken, während
sie doch fest und entschieden sind; deshalb ist es gut, Ehrwürdige Brüder,
diese Lehren hier zunächst im Ueberblick darzustellen und den Zusammen-
hang aufzuzeigen, in welchem sie stehen, um dann erst nach dem Grunde
des Uebels zu suchen und die Mittel vorzuschreiben, durch welche das
Unheil abgewendet werden kann.
Um aber in dieser schwierigen Frage Schritt für Schritt voranzugehen,
sei hier vorab bemerkt, daß jeder Modernist sozusagen mehrere Rollen in
einer Person spielt; er ist Philosoph, Gläubiger, Theologe, Historiker,
Kritiker, Apologet und Reformator.
Nach einer ausführlichen Polemik gegen die philosophischen,
religiösen und politischen Anschauungen der Modernisten heißt es:
Nichts lassen sie unversucht, um die Zahl ihrer Anhänger zu ver-
mehren. An den Klerikalseminarien und Universitäten lauern sie auf
Professuren, um sie zusehends in Lehrstühle des Verderbens zu verkehren.
Bei Predigten in der Kirche tragen sie ihre Lehren, wenn auch vielleicht