Nachtrag zu S. 291. 369
bloß versteckt, vor; freier sprechen sie in Versammlungen; bei sozialen Ver-
anstaltungen ziehen sie dieselben herein und preisen sie an. Bücher, Zeitungen
und Abhandlungen lassen sie unter eigenem oder fremdem Namen erscheinen.
Der gleiche Schriftsteller gebraucht oft viele Namen, um Unvorsichtige
durch Vorspiegelung vieler Autoren zu täuschen. Kurz, in der Agitation,
in Wort und Schri, überall entfalten sie eine wahrhaft fieberhafte Tätig-
keit. — Und was ist das Ergebnis von alledem? Wir haben es zu beklagen,
daß eine große Anzahl junger Leute, welche die schönsten Hoffnungen
erweckten und zum Besten der Kirche so viel Gutes tun könnten, vom
rechten Wege abgewichen sind. Auch das berührt Uns schmerzlich, daß
viele, die zwar nicht so weit gehen, doch von der schlechten Atmosphäre
angesteckt sind und sich gewöhnen, mit einer Ungebundenheit zu denken,
zu reden und zu schreiben, wie sie einem Katholiken schlecht ansteht. Es
gibt solche unter den Laien und ebenso im Klerus; ja sogar in religiösen
Orden, wo man es am wenigsten erwarten sollte, fehlen sie nicht. Man
behandelt die biblischen Fragen nach den Regeln des Modernismus.
Schreibt man Geschichte, so stellt man, unter dem Schein der Objektivität,
mit sichtlichem Vergnügen alles ans Licht, was der Kirche einen Makel
anheften könnte. Fromme Volksüberlieferungen sucht man, nach vor-
gefaßtem Urteil, mit aller Entschiedenheit abzutun. Altehrwürdige Reliquien
gibt man der Verachtung preis. Die Eitelkeit verlangt ja, in der Welt
von sich reden zu machen; und das glaubt man nicht erreichen zu können,
wenn man nur das wieder sagt, was immer und allgemein gesagt worden
ist. Vielleicht redet man sich dabei noch ein, man tue Gott und der Kirche
einen Dienst; tatsächlich wird hierdurch schwer gefehlt, und zwar nicht
allein durch die Arbeiten selbst, sondern noch mehr durch die Gesinnung,
woraus dieselben entspringen, und weil dadurch der Kühnheit der Moder-
nisten in weitgehendem Maße Vorschub geleistet wird.
Unser Vorgänger glorreichen Andenkens, Leo XIII., hat in Wort
und Tat sich, besonders in der Bibelfrage, mannhaft diesem Strome grober
Irrtümer entgegengestemmt, der insgeheim und offen einzudringen suchte.
Aber die Modernisten lassen sich, wie Wir gesehen, nicht leicht durch solche
Abwehr schrecken: die Worte des Papstes haben sie, während sie die größte
Ehrfurcht und Unterwürfigkeit dagegen zur Schau trugen, zu ihren Gunsten
verdreht und sein Einschreiten auf irgend welche andere Leute bezogen.
So ist das Uebel von Tag zu Tag schlimmer geworden. Deshalb, Ehr-
würdige Brüder, haben Wir beschlossen, nicht länger zuzusehen, sondern
energischere Maßregeln zu ergreifen. — Euch aber bitten und beschwören
Wir, daß Ihr es in einer so wichtigen Sache auch nicht im geringsten an
Wachsamkeit, Eifer und Festigkeit fehlen lasset. Und was Wir von Euch
wünschen und erwarten, das wünschen und erwarten Wir ebenso von den
übrigen Seelenhirten, von den Erziehern und Lehrern des jungen Klerus,
besonders aber von den Generalobern der religiösen Orden.
I. Was also zunächst die Studien angeht, so wollen und verordnen
Wir in aller Form, daß die scholastische Philosophie zur Grundlage der
kirchlichen Studien gemacht werde. — Freilich, wenn sich bei den Schola-
stikern etwas findet, das allzu spitzfindig ausgeklügelt oder ohne die nötige
Ueberlegung vorgebracht worden, oder etwas, das mit den sichergestellten
Ergebnissen einer späteren Zeit nicht stimmt, oder schließlich etwas, das in
irgend einer Weise unwahrscheinlich ist: so liegt es Uns durchaus fern, das
Unserer Zeit zur Nachahmung zu empfehlen. Die Hauptsache ist diese: Wenn
Wir die Beibehaltung der scholastischen Philosophie vorschreiben, so ist vor
allem die gemeint, welche der hl. Thomas von Aquin gelehrt hat; was hier-
über von Unserem Vorgänger bestimmt worden, das, so wollen Wir, soll alles
Europäischer Geschichtskalender. XVIII. 24