Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1907. (48)

392 Uehersicht über die politische Entwichelung des Jahres 1907. 
an (S. 45). Ebenso find alle Angriffe der nationalen Katholiken 
vom Zentrumsturm abgeprallt, und auf dem Katholikentage herrschte 
dieselbe Einmütigkeit wie früher. Auch kirchliche und wissenschaft- 
liche Gegensätze (S. 125) haben die politische Einheit nicht zu 
durchbrechen vermocht. Überall, in den Reden im Reichstag und 
auf dem Katholikentag und in der Presse, kehrte stets die Ansicht 
wieder, dem Zentrum sei durch die Reichstagsauflösung und die 
Bildung des Blocks von der Regierung mit Undank für seine 
früheren Verdienste gelohnt worden, und es ist taktisch verständlich, 
daß die Zentrumspresse eifrig jede Spaltung im Block beobachtete 
und der Linken unausgesetzt vorwarf, daß sie nur durch Verleug- 
nung alter Prinzipien mit den Konservativen zusammengehen 
könne. Bis zum Jahresschluß hat diese Taktik einen Erfolg noch 
nicht hervorgebracht. — Innerhalb der Sozialdemokratie hat 
die Wahlniederlage eine grundsätzliche Veränderung nicht herbei- 
geführt; nach wie vor geht der Kampf zwischen Revisionisten und 
Marxisten weiter. Daß ein beträchtlicher Bruchteil der industrie- 
ellen Arbeiter nicht sozialdemokratisch gesinnt ist, bewies die 
Tagung der nationalen Arbeiter in Frankfurt (S. 150). Der 
internationale Sozialistenkongreß in Stuttgart beleuchtete aber- 
mals grell die Gegensätze, die innerhalb der Sozialdemokratie 
herrschen, ohne grundsätzlich neues zu bieten. 
In Österreich hat die Wahlreform, deren Annahme schon 
im Vorjahre entschieden worden war, ihre erste Probe bestanden. 
Die Neuwahlen brachten eine völlige Neugestaltung der Parteien 
hervor. Den Haupterfolg trugen die beiden Richtungen davon, 
die den sozialen Gedanken am stärksten betonten, die klerikalen 
Christlich-Sozialen und die Sozialdemokraten; die radikalen natio- 
nalen Gruppen erlitten Verluste; so verschwanden die alldeutschen 
Schönerianer fast ganz, und die Jungtschechen mußten zahlreiche 
Mandate an die tschechischen Sozialdemokraten und Agrarier ab- 
treten. Im deutschen Lager wurden ferner die Liberalen durch die 
Christlich-Sozialen zurückgedrängt, im polnischen verlor der Adel 
die Führung an demokratische Elemente in Stadt und Land;
	        
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