Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1907. (48)

Nebersicht über die yolilische Eutwinelung dro Jahres 1907. 401 
Ausbau der Geleise und Bahnhöfe, für Anschaffung von Wagen 
wurden gemacht. Außerdem sind 130 Millionen zur Verbesserung 
von Handels= und Kriegshäfen ausgeworfen worden. — Die Ge- 
fahr eines Eisenbahnerstreiks, die Italien so oft bedroht hat, ist 
auch im letzten Jahre hervorgetreten, aber durch die Einmütigkeit 
der Regierung und des Publikums abgewendet worden. — Der 
Skandalprozeß Nasi, der jahrelang viel Staub aufgewirbelt hat, 
scheint jetzt seinem Ende entgegenzugehen. — In der auswärtigen 
Politik hat sich Italien zurückgehalten; eine Spitze gegen den Balkan 
ist zwar unverkennbar, aber vorderhand scheint eine Differenz mit 
Osterreich-Ungarn ausgeschlossen zu sein. 
Die Geschichte der Römischen Kurie wird durch zwei Er- 
eignisse bestimmt: Durch den fortdauernden Konflikt mit der Kurie 
und durch den Kampf gegen die Modernisten. In den Beziehungen 
zu Frankreich hat der Papst sowohl die Kultvereine wie das 
Gesetz über die Kirchengüter verurteilt und im Kampf gegen die 
Modernisten sucht er der modernen religions-wissenschaftlichen und 
philosophischen Forschung und Lehrfreiheit durch einen neuen Syl- 
labus (S. 288) und durch eine besondere Enzyklika (S. 367) ent- 
gegenzutreten. Es ist eine Taktik, die sich auf die Empfindungen 
und Gesinnungen der Masse und des niederen Klerus stützt und sich 
gegen eine Anzahl hervorragender Geister an den Universitäten und im 
hohen Klerus richtet. Die letzten deutschen Reichstagswahlen haben 
gezeigt, wie gering der Einfluß dieser Kreise gegenüber dem 
niederen Klerus ist. 
In der Schweiz hat eine Volksabstimmung endgültig das 
neue Wehrgesetz gutgeheißen, außerdem ist ein neues bürgerliches 
Gesetzbuch, das seit 1892 in Vorbereitung war, von den Räten 
angenommen worden. 
In Belgien hat der Beschluß der Kammer, für den Berg- 
werksbezirk Limburg den Achtstundentag festzusetzen, zum Kabinetts- 
wechsel geführt. Die Regierung zog vor ihrer Demission den 
Gesetzentwurf zurück, worin die Kammermehrheit eine Verfassungs- 
verletzung sah. Das neue Kabinett bestand ebenfalls aus Klerikalen, 
sein Verhältnis zur Kammermehrheit ist aber noch nicht geklärt. 
Die Hauptaufgabe der neuen Minister ist die Regelung der Be- 
Europischer Geschichtskalender. XLVIII. 26
	        
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