Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Das Heutsce Reich und seine einzelnen Glieder. (April 1.)) 127 
Kuhlenbeck und dem Bürgermeister statt. Auch dieser Vorfall gab keine 
Veranlassung zu diplomatischen Schritten. Wenn hier in Berlin schweizerische 
Studenten mit der Polizei in Konflikt kommen, dann würden wir uns 
ebenfalls auf diplomatische Verhandlungen deswegen nicht einlassen. Der 
zweite Fall entwickelte sich, weil ein Student den Professor Kuhlenbeck 
fragte, wie es mit der Anrechnung seiner Vorlesungen in Deutschland 
stehe. Der Student wurde darauf von dem Professor aus dem Kolleg 
verwiesen. Kuhlenbeck schloß in diesem Semester vorzeitig seine Vorlesungen 
und suchte einen andern Lehrstuhl in Deutschland. Bei Beginn des neuen 
Semesters kam es zu Ruhestörungen durch schweizerische Studenten, als er 
seine Vorlesungen wieder aufnahm. Schließlich erfolgten Straßenkund- 
gebungen gegen Kuhlenbeck. Man brachte ihm eine Katzenmusik dar. 
Kuhlenbeck wandte sich telegraphisch an den kaiserlichen Gesandten in Bern 
mit der Beschwerde, daß ihm von der Polizei kein Schutz gewährt werde. 
Auf Veranlassung der deutschen Gesandtschaft verhinderte aber die Polizei 
eine neue Kundgebung gegen Kuhlenbeck. Unser Gesandter ist also seiner 
Pflicht nachgekommen. Außerdem wurde auf seine Veranlassung über das 
Verhalten der Polizei eine Untersuchung eingeleitet, aus der sich ergab, 
daß der Polizei kein Vorwurf zu machen war. Der Gesandte meinte aber, 
die Polizei hätte noch energischer sein können und gab der Erwartung 
Ausdruck, daß solche Fälle nicht mehr vorkommen werden. Es ist auch 
nicht mehr zu solchen Kundgebungen gekommen. Nun zum lestzten Fall. 
Auf Antrag des akademischen Senats der Universität wurde Kuhlenbeck 
wegen Insubordination entlassen. Maßgebend war die Tatsache, daß er 
die Vorlesungen vor Schluß des Semesters eingestellt hat und daß er in 
der Presse eine feindliche Stellung gegen die Universität Lausanne ein- 
genommen hat. Kuhlenbeck verlangte auf diplomatischem Wege eine Ent- 
schädigungssumme. Der kaiserliche Gesandte trat auch deswegen an die 
Schweiz heran, es wurde ihm aber erklärt, daß man keinen Einfluß auf 
den Kanton habe, und daß Herr Kuhlenbeck seine Ansprüche gerichtlich 
geltend machen müsse. Auch in diesem Falle ist von seiten des Gesandten 
alles geschehen, was möglich war. Die Zahl der russischen Studenten in 
Lausanne ist nicht sehr bedeutend. Sie hat sich schon erheblich vermindert, 
weil die Behörden selbst schlimme Erfahrungen mit den russischen Stu- 
denten gemacht haben. (Hört, hört! rechts.) Es ist nicht richtig, daß die 
Russen einen unheilvollen Einfluß auf die deutschen Studenten ausgeübt 
haben, denn diese haben mit ihnen so gut wie gar keinen Umgang. Pro- 
fessor Herzen ist nicht mehr Vorsitzender des russischen Komitees. Ob 
der dem Professor Kuhlenbeck gemachte Vorwurf der Kollegabtreibung richtig 
ist, kann ich amtlich nicht feststellen. Auch auf die Wiederanstellung Kuhlen- 
becks an einer deutschen Universität hat das Auswärtige Amt keinen Ein- 
fluß. Ich kann nur wünschen, daß die deutschen Studenten weiter wie 
bisher ausländische Universitäten besuchen. (Beifall.) 
1. April. Zur Beilegung der serbischen Krise erklärt die 
„Norddeutsche Allgemeine Zeitung"“: 
„Trotz wiederholter gegenteiliger Feststellung in deutschen Blättern 
wird in einem großen Teil der ausländischen Presse die Fabel aufrecht 
erhalten, der Entschluß der russischen Regierung sei das Ergebnis einer 
„Pression“ Deutschlands gewesen; es wurde sogar die groteske Behauptung 
aufgestellt, Deutschland habe „mit Mobilmachung“ gedroht. Demgegenüber 
sind wir ermächtigt, den Hergang authentisch und endgültig folgender- 
maßen festzustellen: Auf verschiedene Demarchen, die Serbien zum Auf- 
geben seiner unberechtigten Ansprüche aus Anlaß der Annexion der beiden
	        
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