134 HNas Heuische Reich und seine einzelnen Glieder. (April 18.—20.)
18. April. (Berlin.) Zum ersten deutschen Beamten-
tag haben sich in zwei Lokalen 8000 Beamte versammelt. An die
preußische Regierung wird eine Resolution gerichtet:
Der Beamtentag hoffe und erwarte aufs bestimmteste, daß das
preußische Herrenhaus die Gehaltssätze des Abgeordnetenhauses und der
Regierung nicht ändern und insbesondere an der rückwirkenden Kraft der
Vorlagen bis zum 1. April 1908 festhalten werde. An den Reichstag
richtet der Beamtentag die dringende Bitte, die Reichsfinanzreform zu einem
würdigen Abschluß zu bringen und dabei den Besitz nach den Vorschlägen
der Regierung heranzuziehen. Auch im Interesse der Kommunalbeamten
seien diese beiden Bitten gestellt, da die Kommunen ihre Gehaltsaufbes-
serung zum Teil von diesen Voraussetzungen abhängig machten. Die
Beamtenschaft sehe sich zu diesen Bitten um so mehr veranlaßt, als ihre
Notlage eine erschreckende Höhe erreicht habe und dringend der Abhilfe
bedürfe. Sie sei zwar der Meinung, daß die Vorlage für die tatsächlich
vorhandene Geldentwertung keinen vollen Ausgleich biete, sie wolle sich
aber einstweilen bescheiden, da die finanzielle Lage des Reiches dem Patrio-
tismus Opfer zumuten müsse.
19. April. (Reichstag.) Dem Reichstag ist das revidierte
Berner Uebereinkommen zum Schutze von Werken der Literatur
und Kunst, sowie die Begründung zu den Entwürfen eines Gesetzes,
betreffend Aenderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, einer Straf-
prozeßordnung und eines Einführungsgesetzes zu beiden Gesetzen
zugegangen.
20. April. Zur Reichsfinanzreform.
Der Konservative Verein Stadt Königsberg hat in einer außer-
ordentlichen Generalversammlung einen Beschlußantrag angenommen, der
den Grundsatz betont: Erst das Vaterland, dann die Partei. Deshalb sei
man für eine ausgebaute Erbschaftssteuer, die eine Verständigung der
Blockparteien über die indirekten Steuern ermögliche. Die Versammlung
billigte die Blockpolitik der Regierung.
20. April. Die Legende vom deutschen Druck auf Rußland.
Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ schreibt: „Ein Teil der
ausländischen Presse will, wie auf Verabredung, die Legende aufrecht er-
halten, daß die Zustimmung der russischen Politik zur gütlichen Erledigung
der Annexion von Bosnien und der Herzegowina die Folge eines von
Deutschland ausgeübten Druckes gewesen sei. Wieder und wieder wird
behauptet, ein Brief Sr. Majestät des Kaisers an Se. Majestät den Kaiser
Nikolaus habe die Entscheidung herbeigeführt. Der Korrespondent des
„Standard“ in St. Petersburg hat sich sogar den Anschein gegeben, als
sei er in den Stand gesetzt, über den Inhalt dieses Briefes genaue An-
gaben zu machen. Dieses Spiel mit Tatsachen, die in St. Petersburg so
gut bekannt sind wie in Berlin, nötigt uns, folgendes festzustellen:
1. Die entgegenkommenden Erklärungen Rußlands auf den deutschen
Vorschlag zur Lösung der in der Annexionsfrage bestehenden Schwierig-
keiten wurden in Unterredungen des Ministers Iswolski mit dem deutschen
Botschafter Grafen Pourtales am 20. und am 23. März abgegeben.
2. Am 21. März richtete Kaiser Nikolaus an Kaiser Wilhelm ein
Telegramm über die Orientlage.