Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

330 Sus Veische Reich und seine einzeluen SGlieder. (Oktober 12.—17.) 
12. Oktober. (Berlin.) Prozeß gegen den Schriftsteller 
Hermann Dahsel wegen Erpressung durch Schmähartikel in der 
„Wahrheit". 
Es ergeben sich für den Verleger der „Wahrheit“", Reichstags- 
abgeordneten Wilhelm Bruhn, so belastende Aussagen, daß ein Ermit- 
telungsverfahren gegen ihn eingeleitet wird. Dahsel erhielt eine Gesamt- 
strafe von einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis. 
12./13. Oktober. Der deutsche Hochschullehrertag in Leipzig 
erklärt sich gegen die Zulassung eines durch die Beiträge der In- 
dustriellen zu dotierenden „Tendenzprofessors“ für exakte Wirtschafts- 
forschung. 
13. Oktober. (Elsaß-Lothringen.) Der elsäsfische Reichs- 
tags- und Landesausschußabgeordnete Abbé Wetterlé wird von der 
Strafkammer in Kolmar wegen Beleidigung des Gymnafialdirektors 
Gneiße zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. 
14. Oktober. (Bayern.) Die Kammer der Abgeordneten 
nimmt einstimmig den sozialdemokratischen Antrag Müller (Mün- 
chen) auf Kündigung des bayerisch-russischen Auslieferungsvertrages 
von 1889 an. 
Mitte Oktober. Streitigkeiten im polnischen Lager. 
Der polnische Reichstagsabgeordnete Brejski regt die Bildung eines 
polnischen Nationalrates für das Deutsche Reich als oberste Instanz 
zur Schlichtung von Zwistigkeiten im polnischen Lager an. Der Straz- 
verein soll die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt haben; statt seiner 
wird das Zusammentreten der polnischen Abgeordneten, der Vorsitzenden 
der polnischen Wahlvereine, einiger Vertreter der polnischen Presse und 
einiger um das Polentum besonders verdienter Personen als oberste pol- 
nische Instanz vorgeschlagen. 
Mitte Oktober. (Essen.) Obligatorischer Arbeitsnachweis 
für den Ruhrbergbau. 
Der Beschluß des Zechenverbandes, einen zentralisierten Arbeits- 
nachweis für den Ruhrbergbau einzuführen, ruft bei den Bergarbeitern 
so starke Befürchtungen hervor, daß sich die sonst einander befehdenden 
Arbeiterorganisationen, der Gewerkverein christlicher Bergarbeiter, der 
sozialdemokratische und der alte Bergarbeiterverband, die polnische Ver- 
einigung und der Hirsch-Dunckersche Gewerkverein zu einer gemeinsamen 
Abwehr zusammentun. Sie senden eine gemeinsame Eingabe an den 
Zechenverband, den Zwangsarbeitsnachweis aufzugeben und bitten den 
Handelsminister und das Oberbergamt um ihre Vermittelung. 
16./17. Oktober. (Jena.) Jungliberaler Parteitag. 
Neben Resolutionen für Förderung eines Zusammengehens aller 
Liberalen durch die nationalliberale Parteileitung, wird auch eine „rein- 
liche Scheidung“ der nationalliberalen Parte# von dem Bunde der Land- 
wirte beschlossen. Ueber die Reform der inneren Verwaltung Preußens 
wird folgende Resolution einstimmig angenommen: „Der Vertretertag sieht 
als eine der wichtigsten Aufgaben auf dem Gebiete der politischen Arbeit
	        
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