354 Hes Heuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 9.)
(Heiterkeit.) Dieses Verfahren birgt die schwere Gefahr in sich, daß man
die Ausgaben auf Einnahmen einrichtet, die nicht eingehen. Wenn die
Etatsaufstellung wirksam sein soll, so muß klargestellt werden, welche Ein-
nahmen sich ergeben. Nur dann lassen sich die Ausgaben den Einnahmen
anpassen, und nur dann lassen sich die Finanzen der Einzelstaaten mit
der Reichsfinanzverwaltung in Zusammenklang bringen. Davon ausgehend,
haben wir 1910 genau denselben Betrag an Matrikularbeiträgen wie 1909
eingestellt. Es wird weiter zu erwägen sein, ob nicht auf dem Boden
der verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Bestimmungen Vorkehrungen
gegen das Schwanken der Einnahmeverhältnisse aus den Matrikular-
beiträgen getroffen werden können. Die Einnahmen für 1908 weisen
ungewöhnlich ungünstige Zahlen auf. So sind die Einnahmen aus den
Zöllen um nicht weniger als 121 Millionen Mark hinter dem Etats-Soll
zurückgeblieben (Hört, hört! links), die aus den Reichsstempelabgaben um
rund 9 Millionen, diejenigen aus der Fahrkartensteuer um 5 Millionen
(hört, hört! rechts), aus der Erbschaftssteuer um 12 Millionen, aus der
Brausteuer um 4 Millionen. Die Post= und Telegraphenverwaltung hatte
bei einer Mindereinnahme von über 20 Millionen einen Minderüberschuß
von 16 Millionen. Da auch die Einnahmen aus den Reichseisenbahnen
und dem Bankwesen hinter dem Etats-Soll zurückblieben, so entstand im
ganzen ein Minus gegen das Etats-Soll von 188 Millionen Mark. Diese
Verhältnisse sind eine äußerst ernste Mahnung zur Vorsicht bei der Schätzung
der Einnahmen. Die Schätzung von 1909 erstreckt sich auf den Durchschnitt
zweier fetter und eines magern Jahres. Das Ergebnis waren Minder-
einnahmen. Wir müssen also die wirtschaftlichen Verhältnisse bei den Ab-
schätzungen mehr als bisher berücksichtigen, wenn auch das Festhalten eines
Durchschnitts große Vorteile hat. Vor allem muß davor gewarnt werden,
daß wir uns bei Abschätzung der Einnahmen durch den Umstand beein-
flussen lassen, daß wir für große Ausgaben Deckung schaffen müssen. Das
ist es ja gerade, was wir beim Weingesetz so perhorresziert haben, ein
Strecken und Verlängern. Wie übel das Erwachen nach solchen falschen
Schätzungen ist, dafür ist der Nachtragsetat ein lautredendes Beispiel.
Für 1909 sind die Aussichten nicht so ungünstig wie für 1908. Das
liegt daran, daß die Einnahmen aus den Zöllen nur um 37 Millionen
Mark niedriger geschätzt sind, als für 1908. Es liegt mir fern, prophezeien
zu wollen. Aber soviel darf man doch wohl sagen, eine gewisse langsame
aber stetige Aufwärtsbewegung der Konjunktur macht sich jetzt in unserem
Erwerbsleben bemerkbar. (Zustimmung.) Ein weiteres Moment der Un-
sicherheit ergibt sich aus der Voreinfuhr, die jede neue Steuergesetzgebung
zur Folge hat. Hat sich doch bei einer Aenderung des Tabakgesetzes die
Wirkung der Voreinfuhr so stark geäußert, daß erst vier Jahre nach dem
Inkrafttreten dieser Aenderung diejenige Höhe der Einfuhr erreicht wurde,
die im Vorjahre vor dem Inkrafttreten erreicht wurde. Dasselbe gilt
von den neuen Steuern. Ich bemerke aber ausdrücklich, daß wir der
Schätzung der neuen Steuern die Grundlage gegeben haben, wie sie im
Finanzgesetz vorgesehen ist. Dafür sprechen alle Erfahrungen, daß die
für den Beharrungszustand zu erwartenden Einnahmen nicht schon beim
Uebergangszustand im ersten Jahre eingehen können. Unter Berücksichtigung
dieser Momente gelangt man zu folgendem Ergebnis:
Die Gesamtsumme der neuen Steuern ist, wie bekannt, auf
500 Millionen geschätzt worden. Davon gehen von vornherein ab: 25
Millionen mehr an Matrikularbeiträgen, 35 Millionen Zuckersteuer,
3 Millionen Ortsporto usw. Im ganzen 87 Millionen. Diesen Betrag
haben wir selbstredend von vornherein abgezogen, so daß etwa 413 Millionen