578 Tũrkei. (Januar 30. — Februar 14.)
30. Januar. Die gespannte Lage zwischen Bulgarien
und der Türkei zeigt sich darin, daß einerseits von Konstantinopel
nach Saloniki der Befehl gelangt, für die Absendung von Ge-
schützen an die bulgarische Grenze alles in Bereitschaft zu halten,
und daß andererseits im Bezirke Diausta zahlreiche bulgarische
Banden auftreten.
1. Februar. Die Pforte macht bekannt, daß die Türkei von
Bulgarien 100 Millionen Franken sofort und 25 Millionen nach
3—4 Jahren fordert, daß aber darin die Entschädigung für die
orientalischen Bahnen mit inbegriffen sei.
4. Februar. Die Kammer beschließt, die Regierung zu er-
suchen, einen Gesetzentwurf für die Unterdrückung des Bandenwesens
und einen anderen zur Lösung der Kirchen= und Schulfragen vor-
zulegen.
Bei der Beratung kommt es zu wildem Lärm, als der jungtürkische
Dr. Risa Tewfik behauptete, die Verfassung gebe jedem Ottomanen das
Recht, sich zu einem beliebigen oder auch zu keinem Glauben zu bekennen.
9.—14. Februar. Ministerkrise in Konstantinopel.
In Konstantinopel hatte sich das Gerücht verbreitet, daß die jung-
türkischen Heißsporne das Komitee in Saloniki zu überreden suchten, den
Sultan zu entthronen und seinen Vetter, den Prinzen Jussuf Issedin, zu
seinem Rachfolger zu machen. Weil das jungtürkische Komitee in Kon-
stantinopel sich Einmischungen in die Verwaltung der Ministerien des
Krieges und der Flotte erlaubt hatte, zwang der Großwesir Kiamil Pascha
den Kriegsminister Ali Risa Pascha und den Marineminister Arif Pascha
um Rücktritt und ernannte an ihrer Stelle Nazim Pascha und Husim
bascho. Außerdem verlangte der Großwesir die Verlegung des Schützen-
bataillons aus Saloniki, das in Konstantinopel garnisoniert worden war,
in die Provinz, weil seit Anfang Februar Verschwörungspläne bei seinen
Offizieren bemerkbar geworden seien. Da verbanden sich das jungtürkische
Komitee, die abgesetzten Minister, die Garnison von Konstinopel und die
Leiter der jungtürkischen Partei im Parlament zum Sturze des Großwesirs.
Die für Berlin, Wien und Paris bestimmten Militärattachés verzögerten
ihre Abreise, und im Parlament wird eine Interpellation über die Ab-
setzung der beiden Minister eingebracht.
Die Kammersitzung vom 13. Februar wurde deshalb von vielen
Offizieren und Mitgliedern des Komitees besucht; auch ein Sohn des Sultans
und andere Prinzen waren zugegen. Der Großwesir sandte aber ein
Schreiben, worin er erklärte, daß die sofortige Beantwortung der Inter-
pellation schlechte Folgen für das Land haben werde, weil der Wechsel im
Kriegsministerium mit schwebenden auswärtigen Fragen zusammenhänge.
Auch auf telephonischen Anruf im Namen der Kammer weigert sich der
Großwesir zu erscheinen und verspricht, am 17. Februar die Interpellation
zu beantworten, indem er zugleich seine Bereitwilligkeit ausdrückt, vom
Amt zurückzutreten, wenn die Kammer es wünsche.
Unter großer Aufregung des Hauses kommen durch den Sekretär
des Parlaments drei Schreiben zur Verlesung. In dem ersten erklärt sich
die Flotte gegen den neuen Marineminister und stellt sich zur Verfügung