Medersicht über die pelitische Enitnitelnng des Jahres 1909. 691
bot das Zentrum den Antrag der Konservativen, die sogenannte
Liebesgabe, d. h. die Spannung zwischen dem Steuersatze des den
Brennereien gewährten Vorzugssteuersatzes und des übrigen Trink-
branntweins in Höhe von 20 Mark pro Hektoliter reinen Alkohols
noch fünf Jahre bestehen zu lassen und dann auf 15 Mark zu
mäßigen, durch den Antrag, die bisherige Spannung für immer
beizubehalten. Die Erklärung des konservativen Führers von Nor-
mann, daß seine Partei die Reform ohne Rücksicht auf den Block
zustande bringen wolle, erwies sich trotz aller sräteren Einwände
als das Ende des liberal-konservativen Blocks. Zweifellos war es
aber nicht nur, wie von nationalliberaler Seite behauptet wurde,
„das Einschnappen“ der Konservativen auf die vom Zentrum mit
der Verewigung der Liebesgabe gestellte Falle, was die Blockkrifis
herbeiführte. Die Trennung erfolgte, wie die Wahlrechtsdebatte
im Preußischen Abgeordnetenhause vom 25. und 26. Januar ge-
zeigt hatte, auch deshalb, weil die nationalliberalen Anträge auf
die Veränderung der Landtagswahlkreise, die geheime Stimm-
abgabe und das direkte Wahlverfahren der konservativen Partei
unannehmbar waren.
Der Nerv der politischen Aktion des neuen „schwarz-blauen“
Blocks lag in der Beseitigung der Notwendigkeit, Nachlaß- oder
neue Erbschaftssteuern in die Reichsfinanzreform einzuschließen,
um auf 500 Millionen Mehrertrag zu kommen. Deshalb wurden
Zentrum und Konservative von den Osterferien an sehr erfinderisch
in Steuerentwürfen und sehr resolut in der Durchpeitschung ihrer
Anträge durch die Kommissionsberatung. Das Reichsschatzamt ging
ihnen mit der Zustellung von Material bereitwillig zur Hand,
ohne die Hoffnung auf Annahme der Erbanfallsteuer aufzugeben,
von der der Reichskanzler sein Verbleiben im Amte abhängig
machen wollte. Da sich die neue Mehrheit bei den Kommissions-
verhandlungen nicht an die innere Logik der geschäftsordnungs-
mäßigen Beratung binden wollte, so legte der Vorsitzende Abg.
Paasche am 13. Mai den Vorsßitz nieder, und als über neue „Ersatz-
steuern“ verhandelt wurde, die noch nicht dem Plenum zur ersten
Lesung vorgelegen hatten. trat die gesamte Linke am 28. Mai aus
der Kommission aus. Um so schneller konnte die Rumpfkommission
447