Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

V Veesche Reich und seine einteinen Slieder. (Februar 6.) 55 
den jetzigen Matrikularbeitrag von 80 Pfennig pro Kopf weiter auf- 
zubringen. So notwendig die Veredelung der Matrikularbeiträge sei zur 
gerechten Entlastung der kleinen Staaten, so wenig sei der Weg bisher 
dazu gefunden. Das Zentrum lehnt den Antrag der Reichspartei als 
Eingriff in die Finanzhoheit der Einzelstaaten ab und verlangt seine Zu- 
rückstellung, bis man sich speziell mit der Veredelung der Matrikular- 
beiträge beschäftige. Ebenso unannehmbar sei für das Zentrum die be- 
antragte quotisierte Vermögenssteuer. Wenn man auch verfassungsmäßig 
keine Bedenken dagegen zu haben brauche, so sei dieser Eingriff in die 
Interessen der Einzelstaaten zum mindesten politisch unklug. Der Zentrums- 
redner führt dann eine Reite von Bedenken gegen die Nachlaßsteuer auf. 
Auch im Süden sei der Grundbesitz dagegen, weil er eine Benachteiligung 
gegenüber dem mobilen Kapital befürchtet, das sich leichter der Steuer 
entziehen könne. Daneben gingen die sogenannten sentimentalen Bedenken. 
Der preußische Finanzminister versucht noch einmal die Konservativen 
umzustimmen. (Resultat siehe 9. Februar.) 
6. Februar. Die Nachlaßsteuer und die konservativen 
Prinzipien. 
Da in sehr vielen konservativen und agrarischen Protestversamm- 
lungen „die Besteuerung der Witwen und Waisen“ als unvereinbar mit 
dem „Familiensinn“ und den konservativen „Prinzipien“ bezeichnet wird, 
so teilt die „Kölnische Zeitung“" gegenteilige offizielle Erklärungen aus dem 
„agrarischen Handbuch“ von 1903 und aus dem „konservativen Handbuch, 
bearbeitet und herausgegeben von Angehörigen beider konservativen Par- 
teien“ im Jahre 1892 mit. 
Das „Agrarische Handbuch“ sagte im Jahre 1903 u. a.: „Was die 
Erträge der Erbschaftssteuer angeht, so betrugen dieselben pro Kopf der 
Bevölkerung 1893—1894 in Preußen 0,07 Mark, in den übrigen Bundes- 
staaten erhoben sie sich von 0,05 Mark auf 1,77 Mark (Hamburg). Die 
Geringfügigkeit der Einnahmen findet ihre Erklärung in der Steuerfreiheit 
der nächsten Verwandten. Man wird zugestehen müssen, daß hier ein 
Mangel der preußischen Erbschaftssteuergesetzgebung vorliegt, der nicht un- 
bedenklich ist und beseitigt werden muß.“ 
Das „konservative Handbuch“ schreibt wörtlich: „Besonders bestritten 
ist die Frage, ob auch Erbfälle bei Eltern und Kindern als steuerpflichtig 
zu behandeln sind. Das preußische Gesetz vom 30. Mai 1873 verneint diese 
Frage, und es ist dabei unter Ablehnung der vom Finanzminister Miquel 
im Jahre 1890 vorgelegten Abänderungsvorschläge in dem neuen Gesetz 
vom 19. Mai 1891 verblieben. Von Gegnern der Besteuerung der direkten 
Linie beim Erbfall ist dieselbe sogar als „himmelschreiende", die Familien- 
innigkeit störende Abgabe bezeichnet worden, und daß sie gegenwärtig in 
weiten Kreisen sehr unpopulär ist und um so eher entbehrt werden kann, 
je besser in neuester Zeit die Einkommenbesteuerung ausgebildet worden 
ist, unterliegt keinem Zweifel. Immerhin mag darauf verwiesen werden, 
daß gerade die meisten Völker germanischer Abstammung, wie Engländer, 
Holländer, Skandinavier usw. tatsächlich bereits die Besteuerung in 
direkter Linie eingeführt haben, ohne daß eine Schädigung der Familien- 
beziehungen konstatiert worden wäre. Auch Elsaß-Lothringen besitzt die 
Steuer nicht nur ohne Klage, sondern hat sich sogar gegen die Auf- 
hebung mit allen Kräften und mit Erfolg gewehrt. Eine gänzlich andere 
Frage ist allerdings die, wo eine derartige Besteuerung in direkter Linie 
überhaupt zu beginnen habe. Hier müßte freilich in jedem Falle gefordert 
werden, daß diese Grenze erst bei verhältnismäßig hohen Beträgen Platz 
 
	        
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