Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenundzwanzigster Jahrgang. 1911. (52)

Alsemeines. Internatienale Hongreffr. Piplematische ur. senftige Enthüsmnsen. 609 
Verwirrung unter unseren Mitgliedern anstiften zu können, die bei der 
gegenwärtigen Beitragsorganisation den Gewerkverein christlicher Berg- 
arbeiter außerordentlich schwer getroffen hätte. Wir veranstalteten vom 
10. bis 15. Oktober im Saarrevier 51 Versammlungen mit 12- bis 15000 Be- 
suchern. Damit wurde das Gegenteil des „Berliner" Anschlages erreicht 
und unsere Position bedeutend gefestigt. Offenbar hat diese Aktion Herrn 
Bischof Korum schwer geärgert, denn in der Besprechung, die 3¼ Stunden 
dauerte, zeigte er sich weniger entgegenkommend als. Ihnen gegenüber. 
Die Absprechung der Katholizität in Bezug auf die Gewerkschaften billigte 
Herr Korum auch uns gegenüber nicht; dagegen sagte er nichts davon, daß 
die Kanzel nicht zur Anti-Gewerkschaftsagitation gebraucht werden dürfe. 
Die Herren Pfarrer Stein und Treitz, die schon lange vor der angesetzten 
Zeit mit großen Mappen da waren, müssen Korum schwer bearbeitet haben: 
Kurz, Herr Bischof Korum sagte: So lange Herr Redakteur Meurer („Saar- 
post“) und Hüskes im Saarrevier sind, gibt es keinen Frieden. 
Im übrigen ist uns im Verlaufe der Aussprache erst richtig klar 
geworden, welch gewaltiger Gegensatz zwischen den schlaueren opportu- 
nistischen Kreisen — um das angefeindete Wort Modernismus nicht zu 
gebrauchen — und der doktrinären, weltfremden Richtung im deutschen 
Katholizismus besteht. Herr Korum ist in einer unbeschreiblichen Weise 
erbost, daß die von ihm vertretene Richtung in Deutschland als Schwärmerei 
behandelt wird und nirgends durchdringt. Er ärgert sich, daß auf den 
Katholikentagen die „Berliner“ Resolutionen meist unter den Tisch fallen, 
andere aber erst völlig umgeändert zur Annahme gelangen. Gegen die 
„Köln. Volkszeitung“ sagte er unter anderem: „Wäre ich, anstatt Bischof 
von Trier, noch Professor in Straßburg, so würde ich einen rücksichtslosen 
Kampf gegen die „Köln. Volkszeitung“ führen. Wenn ich das Geld hätte, 
würde ich längst eine eigene Zeitung gegen die „Köln. Volkszeitung“" ge- 
gründet haben. Es war eine Anmaßung ohnegleichen, daß auf der letzten 
Fuldaer Bischofskonferenz Herr Gröber den Bischöfen einen Vortrag hielt, 
was sie zu tun und zu lassen hätten. Ich mußte meine ganzen Tugenden 
zusammennehmen, um ruhig zuhören zu können. Für die Gladbacher 
Richtung existiert das Fuldaer Pastorale von 1900 gar nicht. Ebenso, wie 
im Mittelalter die Kirche das Zunftwesen beherrschte, müssen auch heute die 
katholischen Grundsätze wieder maßgebend werden.“ 
Als wir ihm die harten Wirtschaftstatsachen auseinandersetzten, dar- 
auf hinwiesen, daß die größten Industrieländer (Vereinigte Staaten von 
Amerika, England und Deutschland) nur einen kleinen Teil und zwar noch 
keine 20%% katholische Bevölkerung aufwiesen, die ganze Großindustrie fast 
ausschließlich von Protestanten geleitet würde, den gewaltigen Einfluß des 
Protestantismus auf das Staatsleben erwähnten, darauf hinwiesen, daß die 
antiklerikalen Strömungen, die von Frankreich auch auf Süddeutschland 
überspringen, auch im deutschen Wirtschaftsleben in die Erscheinung treten, 
daß weiten Unternehmerkreisen alles Christliche verhaßt sei, daß viele Unter- 
nehmer lieber mit Sozialdemokraten als mit Christlichen verhandeln, die 
seitherige und zweifellos künftige Entwicklung des Tarifwesens hervor- 
hoben 2c. 2c., antwortete er kurz, das sei eben unsere Ueberzeugung, er habe 
eine andere: „Suchet zuerst das Reich Gottes und das andere wird euch 
gegeben werden!“ Auch seien Staat und Unternehmer stark genug, die 
Sozialdemokraten zurückzuwerfen. Kurz: wir bemerkten, daß Herr Bischof 
Korum viel wütender ist auf Köln. Volkszeitung, Volksverein, Prof. Hitze 
als auf die christlichen Gewerkschaften. 
Ihre gute Absicht erkennen wir gerne an; hätten wir indes Herrn 
Bischof Korum so gut gekannt wie heute, hätten wir uns überlegt, ob wir 
Europäischer Geschichtskalender. Ull. 39
	        
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