Mebersicht über die politische Entwickelmun des Jahres 1911. 619
Frankreich und Großbritannien es als ein wesentliches Interesse
ihrer Entente zu verteidigen bereit waren. Also ging Frankreich,
gedeckt durch die geheimen Abmachungen mit Großbritannien und
Spanien, im Frühjahr 1911 kühn auf sein Ziel los.
Der Umschlag erfolgte am 15. März. Während der Minister-
rat Frankreichs noch am 9. und 10. März (S. 410 f.) für den Über-
fall, den der Stamm der Zaer in Marokko am 14. Januar aus-
geführt hatte (S. 558), sich mit einer Genugtuung seitens des
Sultans begnügen wollte, gewannen fünf Tage darauf die un-
geduldigen Kolonialpolitiker, geführt vom Comité du Maroc, maß-
gebenden Einfluß auf das Ministerium Monis. Durch die Mit-
teilung an die Signatarmächte der Algecirasakte, daß nach der
Schaujah neue Verstärkungen gesandt werden sollen (S. 559), kam
der Stein ins Rollen. Anfangs versuchte es die französische Regie-
rung, ihr Vorgehen als eine vom Sultan von Marokko gewünschte
Hilfsleistung hinzustellen und die Verletzung der Algecirasakte unter
dem „Masque chérifien“ zu verbergen. Die Bedrängnis des Sultans
durch aufständische Stämme in der Nähe von Fez (S.559) begünstigte
dies Verfahren Ende März und Anfang April so sehr, daß die
Unterzeichnung des Geheimvertrages vom 10. April, die drei Monate
später aus Tanger gemeldel wurde (S. 593), sehr glaubhaft erscheint.
Aber das Comité du Maroc suchte sofort die französischen Truppen
nach Fez zu locken und verbreitete deshalb Alarmnachrichten, als
sei das Leben der Europäer in der Refidenz des Sultans Mulay
Hafid ebenso gefährdet wie während der Boxerbewegung in Peking.
Der Erfolg war der Befehl an General Moinier vom 19. April,
„zum Entsatze von Fez“ mit französischen Streitkräften einzugreifen.
Allerdings kam die Wahrheit, daß in Fez alles ruhig war, bald
ans Licht; die englische Presse warnte Frankreich vor der Irreleitung
durch Pariser Marokkospekulanten (26. April, S. 344). Schwer-
wiegender war der Marokkoartikel der „Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung“ vom 30. April (S. 95 f. und 415), der als „einen wesent-
lichen Bestandteil der Akte einen unabhängigen marokkanischen
Herrscher“ hinstellte und für den Fall selbst der unbeabsichtigten
Verschiebung der Verhältnisse durch Frankreichs Aktion die „volle
Aktionsfreiheit“ sämtlicher Mächte in Aussicht stellte. Ungehört