Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

292 Des Beutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli 27.) 
Voraussetzung der Gegenseitigkeit alle auf den Luftverkehr sich beziehenden 
Vorschriften mitteilen. Vorstehende Bestimmungen gelten unter der Be- 
dingung der Gegenseitigkeit. Sie treten außer Kraft, sobald die französische 
Regierung der deutschen Regierung eine entsprechende Mitteilung macht. 
Entsprechende Bestimmungen gelten für die aus Frankreich nach Deutschland 
gelangenden Militär- und Privatluftfahrzeuge. Zu beachten ist, daß das 
Abkommen bereits am 15. August in Kraft tritt. 
27. Juli. In der „Schlesischen Ztg.“ äußert sich Professor 
Julius Wolf zu den Steuerfragen: 
„Einen Betrag von rund einer Milliarde einmalig, einen solchen von 
fast 200 Millionen jährlich durch das Mittel direkter Reichssteuern auf- 
zubringen, war die denkbar schwierigste Aufgabe, die der Reichsgesetzgebung 
gestellt werden konnte. Es mutet fast wie ein Wunder an, daß sie gelöst 
worden ist. Es ist aber naturgemäß, daß die Lösung, wie immer man sie 
versuchte, nicht ohne Mängel sein konnte. Der einmalige Wehrbeitrag war 
ein genialer Wurf. Die Weite der Spannung zwischen Maximal- und 
Minimalsatz bezeichnet das Maß der sozialen Rücksicht gegen die mäßig 
Begüterten. Mehr Widerspruch als der Wehrbeitrag hat die neu geschaffene 
Vermögenszuwachssteuer geweckt. Sie ist eine Vermögens- und Erbanfall- 
steuer. Sie ist als solche Gegenstand der Verurteilung gewesen. Man sieht 
in ihr einen Eingriff in die Finanzhoheit der Bundesstaaten, denen die 
Vermögens- sowie die Einkommensteuer als Hauptsteuern vorbehalten werden 
müssen, sollen die Bundesglieder nicht finanziell decapitiert und davon aus- 
gehend politisch „mediatisiert" werden. Bei näherer Betrachtung der neuen 
Abgaben ergibt sich allerdings, daß die Vermögenszuwachssteuer sich ohne 
zu große Schwierigkeit in jene Ergänzungssteuern einreiht, die das Reich 
bereits in ansehnlicher Zahl neben der den Bundesstaaten vorbehaltenen 
Vermögens= und Einkommensteuer besitzt, als da sind bzw. waren die Tan- 
tiemensteuer, die Talonsteuer, die Wertzuwachssteuer von Grundstücken, die 
Erbschaftssteuer von entfernteren Verwandten und Nichtverwandten. Es sind 
dies fast durchweg additionelle Steuern auf arbeitslos oder mit wenig Arbeit 
gewonnenes Einkommen. Direkte Steuern sind sie zweifellos, die als solche 
etwa den Bundesstaaten vorzubehalten gewesen wären, die aber doch, weil 
sie die direkten Kernsteuern, die allgemeine Einkommen- und Vermögens- 
steuer nicht berühren, dem Reiche unter dem Zwang politischer Konstellationen 
zugebilligt werden konnten. Nicht viel anders wird die neu geschaffene 
Reichsvermögenszuwachssteuer beurteilt werden dürfen. Insofern sie zweifel- 
los für den Zuwachs eine einmalige Vermögenssteuer ist und für die in 
Frage stehenden Beträge also zusammen mit den einzelstaatlichen Vermögens- 
steuern eine Doppelbelastung schafft, ist sie ein Eingriff in die Finanzhoheit 
der Bundesstaaten. Aber ein Eingriff, welcher der in Frage kommenden 
Vermögensmasse nur ein einziges Mal gilt und mildernde Umstände auch 
darum beansprucht, weil manche andere, sonst vermißte Rücksicht bei dieser 
Gelegenheit genommen worden ist. Da die neue Reichssteuer erst bei einem 
in drei Jahren gewonnenen Vermögenszuwachs von 10000 Mark beginnt 
und den Zuwachs bis 50000 Mark sehr glimpflich behandelt, also kleineren 
Vermögenszuwachs frei läßt oder schont, sallen Ersparnisse, die aus Arbeits- 
einkommen gemacht werden, gemeinhin nicht unter die Steuer; auch sie ist 
danach und noch vielmehr als der Wehrbeitrag eine Steuer der Reichen, 
nämlich jener, die aus ihrem Vermögenseinkommen oder aus Unternehmer- 
gewinn oder aus Konjunkturalertrag jährlich mindestens rund 17000 Mark 
zurückzulegen vermögen. Ob die Vermögenszuwachssteuer einen Eingriff in 
die Finanzhoheit der Bundesstaaten bedenutet, ist im übrigen für jede
	        
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