Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 30.) 445
der Leutnant v. Forstner seine gesetzliche Strafe erhalte. Polizeipräsident
v. Jagow, der übrigens bei Hofe beliebt sei — ein sehr wichtiges Moment —
habe mit seinem Briefe an die „Kreuzztg.“ die Führung des Ansturmes
der Konservativen gegen den Reichskanzler übernommen. Dieser befindet
sich in einer überaus peinlichen Situation. Die Art der jüngsten Be-
trachtung der „Nordd. Allg. Ztg.“, mit der vielleicht Eindruck auf die Kon-
servativen gemacht werden sollte, werde vom gesamten Liberalismus ab-
gelehnt. Der Reichskanzler stehe in offener Feindseligkeit mit den Kon-
servativen, ohne den Versuch zu machen, die verlorenen Sympathien des
liberalen Bürgertums wiederzugewinnen. Es sei ein besonderes Verhängnis
für Bethmann, der ziemlich isoliert dastehe, daß der gegen ihn unter-
nommene Ansturm der konservativen Reaktionäre, der eigentlich das liberale
Bürgertum an seiner Seite sehen müßte, ihm doch in diesem Lager keine
Bundesgenossen zu werben vermöge. Sollte der Reichskanzler im Duell
mit Jagow erliegen, so würde sein Fall vom liberalen Bürgertum recht
kühl ausgenommen, so schmerzlich auch ein neuer Triumph des altpreußi-
schen Konservatismus berühren müßte.
30. Dezember. Die den Auslandsdeutschen in der Erfüllung
der Wehrpflicht gewährten Erleichterungen werden jetzt dahin er-
gänzt, daß die Vorschrift über die Zurückstellung bis zum vierten
Militärpflichtjahre sich nur auf die im außereuropäischen Ausland
lebenden Militärpflichtigen bezieht.
Für Militärpflichtige, die im europäischen Ausland leben, sieht der
neugefaßte § 20 Nr. 7 des Reichsmilitärgesetzes nur eine Zurückstellung auf
ein bis zwei Jahre vor.
30. Dezember (Straßburg.) Eine Ehrenrettung.
In dem Prozeß gegen die Zaberner Rekruten war auch das Ver-
halten des Redakteurs Kaestle vom „Elsässer“ eingehend erörtert worden.
Kaestle hatte entgegen seinem Versprechen das von den Rekruten unter-
zeichnete Schriftstück veröffentlicht. Dieses Verhalten war von journalisti-
schen Standesorganisationen gebrandmarkt worden.
Die außerordentliche Versammlung des Augustinusvereins für die
katholische Presse, der einzigen Berufsorganisation für Redakteure und Ver-
leger in Elsaß-Lothringen, nahm einstimmig folgenden Beschluß an: Die
gegen den Redakteur Kaestle erhobenen Vorwürfe sind in keiner Weise be-
rechtigt, weder wurde die Standesehre verletzt, noch wurde ein Ehrenwort
gebrochen oder das Redaktionsgeheimnis preisgegeben. Auch wurden die
Namen der Unterzeichner des Schriftstückes nicht mitgeteilt.