32 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 23.)
wesens, die Schulwesen höher und besser entwickelt sind als in einheitlich
zentralisierten Staaten. Und wenn man sagt: Oesterreich —: Oesterreich
hat eine einheitliche Schulgesetzgebung. Wenn man dieses Beispiel etwa
gegen mich anwenden wollte, dann sage ich: studieren Sie das österreichische
Schulwesen mit seiner einheitlichen Schulgesetzgebung von 1869, dann sehen
Sie bald, wie allmählich die Durchlöcherung der Einheitlichkeit des Schul-
wesens erfolgt ist. Ich erinnere Sie bloß an die lex Ebenhoch, die, glaube
ich, in den achtziger und neunziger Jahren wesentlich dem einheitlichen
Schulwesen für Zisleithanien Abbruch getan hat. Es ist geradezu ein
natürlicher Instinkt, den die großen, in föderativen Staaten zusammen-
geschlossenen Kulturnationen zeigen, und den auch Großbritannien zeigt,
geradeso wie die Schweiz oder wie die Vereinigten Staaten, daß jeder
einzelne Staat, jeder Teilstaat mit Eifersucht über sein eigenes Schulwesen
wacht. Die großen Teilstaaten namentlich in den Vereinigten Staaten
würden sich ungeheuer wehren, wollte die Union es wagen, zu einem ein-
heitlichen Schulwesen überzugehen. Die großen Teilstaaten gewähren sogar
ihren Kommunen so weitgehende Schulgesetzgebungsrechte, daß es mancher
deutschen Regierung gruseln würde bei dem Gedanken, es könnte auch in
Deutschland so etwas möglich sein. Die Folge davon ist aber eine ganz
ungeahnte Entwicklung des amerikanischen Schulwesens, das in seinem wirk-
lichen Leben zu beobachten ich vor zwei Jahren ausgiebig Gelegenheit
hatte. Ich will Sie nicht zu lange aufhalten, sonst würde ich Ihnen einige
Schilderungen geben, die insofern interessant wären, als sie zeigen würden,
wie fruchtbar gerade die Dezentralisation in einem so liberal-demokratischen
Volke, wie es die Amerikaner sind, gewirkt hat. Glauben Sie denn — nun
komme ich zum Hauptpunkt —, selbst wenn wir ein Reichsschulamt er-
reichen würden, das legislatorische, disziplinäre und administrative Macht-
befugnis hätte, was ich nicht wünsche, — glauben Sie, daß die einzelnen
Staaten ihre Schulautonomie aufgeben oder daß sie, wenn sie nichts mehr
zu sagen haben, für die Schullasten aufkommen werden, genau so, wie die
Gemeinden für die Schullasten aufkommen müssen, ohne daß sie viel zu
sagen haben? Und dann, verehrte Herren — nun gestatten Sie dem Süd-
deutschen eine Bemerkung —: wir Süddeutschen haben ein leises Bedenken,
es möchte dieses Reichsschulamt, wenn es einmal da ist, die königlich
preußische Uniform anziehen. Es spukt nördlich der Mainlinie der Geist
der absoluten Strammheit stärker als südlich der Mainlinie, und selbst die
königlich preußische Sozialdemokratie hat etwas von dem Geiste dieser
Uniform. Ich darf Sie auf der äußersten Linken wohl daran erinnern,
daß nur aus diesem Geiste gewisse Ketzerverbrennungen der letzten Jahre
zu erklären sind. Das leichte Gruseln, das uns Bajuvaren, Alemannen
und Schwaben befällt, bezieht sich aber nicht auf die eigentlichen preußischen
Schulverhältnisse, sondern bloß auf die preußische Uniform. Es ist sicher,
daß das preußische Schulwesen nicht in Bausch und Bogen verdammt werden
darf; denn beispielsweise im Gewerbeschulwesen ist Preußen tatsächlich mit
Riesenschritten vorwärts gegangen und hat Opfer gebracht, die mustergültig
in unserem ganzen deutschen Vaterland sind, und in der Frage der höheren
Schulen hat gerade Preußen den ersten Schritt getan zur Gleichberechtigung
aller dieser Schulen und ist damit beispielgebend geworden für alle Staaten,
ja, so beispielgebend geworden, daß im Eifer der Königlich bayerische Staat
sogar eine alte, ausgezeichnete, wertvolle Schule, die alte Königliche In-
dustrieschule zertrümmert hat. Vieles ist auch den preußischen Städten zu
verdanken und es wäre ihnen noch mehr zu verdanken, wenn eben nicht
der Geist der Uniform durch die Königlich preußische Regierung wieder
die Autonomie zu sehr beschränken würde.