42 Beusches Reich. (Januar 26.)
irgendeines Versuchs, auf Rußland einzuwirken, um eine Aufschiebung der
angeordneten Mobilmachung oder befriedigende Aufklärungen an Deutsch-
land zu erlangen.
Dagegen machte Grey den von vornherein aussichtslosen Versuch, die
Verhandlungen weiterzuspinnen und Deutschland zu bewegen, im mobilen
Zustande still zu halten. Letztere Zumutung wurde von Deutschland ab-
gelehnt. Der Staatssekretär von Jagow erklärte Sir E. Goschen: Rußland
sage, daß seine Mobilisation nicht notwendig den Krieg bedeute, denn Ruß-
land könne sehr wohl für einige Monate im mobilen Zustand bleiben ohne
Krieg zu führen; dies sei aber bei Deutschland nicht der Fall. Deutsch-
lands Vorteil sei die Schnelligkeit, Rußlands Vorteil die Zahl, und die
Sicherheit Deutschlands verbiete, daß Deutschland Rußland gestatten könne,
seine Truppenmassen aus allen Teilen des weiten Reiches zusammenzu-
bringen (Blaubuch Nr. 138).
Ferner konzentrierte Sir Edward Grey, nun die Würfel gefallen
waren, seine Anstrengungen darauf, die Karten so zu spielen, daß sich für
das sofortige Eintreten Englands in den Krieg ein Anlaß ergeben mußte,
der auch dem einem Krieg mit Deutschland immer noch widerstrebenden
Teil des britischen Kabinetts und der britischen öffentlichen Meinung als
zwingend erscheinen sollte.
Blau= und Gelbbuch in ihrem Zusammenhalt ergeben, daß Grey, der
seit dem 29. Juli Paul Cambon gegenüber moralisch so stark gebunden war,
wie man es nur sein kann, einige Schwierigkeiten hatte, im englischen
Kabinett die bloße Hineinziehung Frankreichs in den Krieg als ausreichen-
den Grund für die aktive Mitwirkung Englands durchzusetzen. Die Cambon'sche
Interpretation, ein Krieg, in den Frankreich und Deutschland verwickelt
seien, bedeute einen Kampf um die Hegemonie Europas, der England nicht
gleichgültig lassen könne, — eine Interpretation, der Grey nicht wider-
sprochen hatte (siehe oben), fand offenbar im englischen Kabinett keine aus-
reichende Unterstützung.
Die Verlegenheit Greys wurde vermehrt durch sehr weitgehende Zu-
sicherungen, die Deutschland für den Fall einer britischen Neutralitäts-
erklärung in Aussicht stellte. Am 29. Juli, als die „freundschaftlichen und
privaten" Eröffnungen Greys an den Fürsten Lichnowsky in Berlin noch
nicht bekannt waren, machte der Reichskanzler Sir E. Goschen einen Vor-
schlag, der die englische Neutralität ermöglichen sollte. (Blaubuch Nr. 85.)
Der Kanzler wies darauf hin, daß ein russischer Angriff auf Oesterreich-
Ungarn voraussichtlich zu einer europäischen Konflagration führen werde,
da Deutschland zur Waffenhilfe für seinen Verbündeten verpflichtet sei. Der
Kanzler fügte hinzu, es sei für ihn klar, daß England nicht ruhig zusehen
wolle, wenn Frankreich in irgendeinem möglichen Konflikt vernichtet werde.
Die Vernichtung Frankreichs sei aber nicht Deutschlands Ziel, und unter
der Voraussetzung, daß Englands Neutralität gesichert sei, könne der briti-
schen Regierung jede Zusicherung gegeben werden, daß Deutschland keinerlei
territoriale Vergrößerung auf Kosten Frankreichs erstrebe, auch wenn Deutsch-
land aus einem solchen Kriege siegreich hervorgehe. Der Kanzler lehnte
es auf Befragen Goschens ab, eine gleiche Zusicherung auch für die fran-
zösischen Kolonien zu geben, eine Ablehnung, die späterhin nicht aufrecht
erhalten wurde. Ferner erklärte der Kanzler, daß Deutschland die Neutralität
Hollands jedenfalls respektieren werde, wenn dies auch von anderer Seite
geschehe; und was Belgien anlange, so werde es von Frankreichs Aktion
abhängen, welche Operationen Deutschland gezwungen sein könnte in Belgien
einzuleiten; aber nach dem Krieg werde Belgiens Integrität respektiert
werden, falls Belgien nicht gegen Deutschland gekämpft habe.