Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Erste Hälfte. (56a)

BPeutsches Reich. (Januar 26.) 47 
é tat de guerre.“ (Falls das deutsche Geschwader in den Kanal 
einfahren oder die Nordsee passieren sollte, um die britischen 
Inseln zu umschiffen, in der Absicht, die französischen Küsten 
oder die französische Kriegsflotte anzugreifen und die fran- 
zösische Handelsflotte zu beunruhigen, würde das englische 
Geschwader eingreifen um der französischen Marine seinen 
Schutz zu gewähren, in der Art, daß von diesem Augenblick an 
England und Deutschland sich im Kriegszustand befinden wür- 
den.) (Gelbbuch Nr. 143.) 
Bei der erstmaligen Abgabe der Erklärung fühlte sich Sir Edward 
Grey verpflichtet, folgende Erläuterung zu geben: Die englische Regierung 
habe sehr weite Fragen und schwierige Ausgangspunkte in Betracht zu 
ziehen und sie fühle, daß sie sich nicht binden könne, Deutschland notwendiger- 
weise den Krieg zu erklären, wenn zwischen Frankreich und Deutschland 
der Krieg ausbreche; aber es sei wichtig für die französische Regierung, 
deren Flotte seit langem im Mittelländischen Meer konzentriert sei, zu 
wissen, wie sie ihre Dispositionen wegen ihrer gänzlich unverteidigten Nord- 
küste zu treffen habe. Deshalb habe sich die britische Regierung für ver- 
pflichtet gehalten, die mitgeteilte Erklärung zu geben. Diese Erklärung ver- 
pflichte England nicht, in den Krieg mit Deutschland einzutreten, wenn 
nicht die deutsche Flotte die in der Erklärung ins Auge gefaßten Aktionen 
unternehme. (Blaubuch Nr. 137.) 
Dieser Kommentar zeigt, in welchem Maß die formell nicht bindenden 
Abmachungen zwischen Frankreich und England materiell Verpflichtungen 
darstellten. Nur auf Grund des zwischen den englischen und französischen 
militärischen und maritimen Autoritäten verabredeten Operationsplanes, 
der für den Kriegsfall die Handlungsfreiheit der beiden Regierungen nicht 
binden sollte, war die französische Flotte im Mittelmeer konzentriert worden. 
Jetzt fühlte sich das britische Kabinett durch diese Konzentration gezwungen, 
den Schutz der französischen Nordküste und der französischen Handelsflotte 
zu übernehmen und dieserhalb eventuell in den Kriegszustand gegenüber 
Deutschland einzutreten. 
Wenn also in der Zeit vom 2. bis 4. August deutsche Kriegsschiffe sich 
hätten beikommen lassen, sei es die Straße von Calais zu passieren, sei es 
durch die Nordsee zu fahren, so wäre es, da man von englischer Seite hinter 
einer solchen Operation ohne weiteres die Absicht, die französische Küste 
oder Flotte anzugreifen oder zum mindestens die französische Handelsflotte 
zu beunruhigen, vermutet hätte, zu einer sofortigen Aktion der englischen 
Flotte und zum Kriegszustand zwischen Deutschland und England gekommen, 
lediglich auf Grund der Konsequenzen, die das britische Kabinett aus der 
angeblich zu nichts verpflichtenden Entente mit Frankreich sich zu ziehen 
gezwungen glaubte; dies ganz unabhängig von Deutschlands Haltung zur 
belgischen Neutralität. 
Aber die belgische Neutralität blieb als möglicher Ausgangspunkt für 
den Krieg, in den die Majorität des englischen Kabinetts glaubte eintreten 
zu müssen, für den aber der Vorwand erst noch konstruiert werden mußte, 
in Reserve. Zwar sprach Grey am 3. August gegenüber Cambon nur von 
dem Auslaufen der deutschen Flotte als casus belli, während er die bel- 
gische Neutralität überhaupt nicht erwähnte; dagegen hatte er sich in der 
Unterhaltung vom 2. August dahin geäußert, daß das Kabinett sich noch 
überlege, welche Erklärungen es am Tage darauf im Parlament abgeben 
solle und ob es die Verletzung der belgischen Neutralität als casus belli 
erklären solle. (Blaubuch Nr. 148.) Grey war also mit seinem am 31. August 
dem französischen Botschafter angekündigten Antrag, England werde die
	        
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