Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Erste Hälfte. (56a)

Dentses Rei. (Januar 27.) 53 
gesellschaften mindestens in dem Umfange, in dem das bisher geschehen ist, 
Mittel für den Kleinwohnungsbau zur Verfügung stellen möchten. 
26. Jan. (Württemberg.) Vorlage neuer Gesetzentwürfe. 
Der eine enthält einen auf Zwecke der Kriegsfürsorge bezüglichen Nach- 
tragsetat in Höhe von 12 Mill. M und ermächtigt die Regierung zur Ausgabe 
von 50 Mill. Schatzanweisungen sowie zur Beteiligung an der Kriegsgetreide- 
gesellschaft G. m. b. H. in Berlin, mit 600000 M. Die anderen beiden be- 
ziehen sich auf die Katastersteuer und die Verschiebung der Gemeindewahlen. 
27. Jan. Festartikel der „Nordd. A. Z." zum Geburtstag des Kaisers. 
27. Jan. Stiftung eines Gedenkblatts für Angehörige gefallener 
Krieger. 
27. Jan. Zum Generalquartiermeister wird der General- 
leutnant Freiherr v. Freytag-Loringhoven ernannt. 
27. Jan. Reichskanzler v. Bethmann Hollweg äußert sich zu 
einem Vertreter der „Assoc. Preß“ über die belgische Neutralität. 
Der Kanzler äußerte seine Verwunderung, daß sein mit Bezug auf 
Belgiens Neutralität gebrauchter Ausdruck „Stück Papier“, den er bei 
seinem letzten Gespräch mit dem englischen Botschafter in Berlin gebrauchte, 
in den Vereinigten Staaten einen solch ungünstigen Eindruck hervorgerufen 
habe. Diese Worte seien in ganz anderem Zusammenhang gesprochen und 
hätten eine ganz andere Bedeutung gehabt, als aus dem Berichte Goschens 
hervorgehe. Jener Entstellung sei wohl der ungünstige Eindruck in den 
Vereinigten Staaten zuzuschreiben. „Mein Gespräch mit Goschen“, sagte 
der Kanzler, „fand am 4. August statt. Ich hatte eben im Reichstag erklärt, 
daß nur die harte Notwendigkeit, nur der Kampf um die Existenz Deutsch- 
land zwang, durch Belgien zu marschieren, aber daß Deutschland bereit 
sei, Belgien für das begangene Unrecht schadlos zu halten. Als ich dies 
sagte, hatte ich schon einige Daten, aber noch keine positiven Belege dafür, 
daß Belgien schon lange vorher durch seine Beziehungen zu England seine 
Neutralität aufgegeben hatte.“ Auf die Frage, welches die Haltung Eng- 
lands in dieser Frage war, antwortet der Kanzler: „Am Tage meiner Unter- 
redung mit dem englischen Botschafter hatte Grey seine bekannte Rede im 
Unterhaus gehalten, worin er zwar nicht sagte, daß England sich am Kriege 
beteiligen würde, aber doch wenig Zweifel in jener Hinsicht bestehen ließ. Man 
braucht jene Rede nur durchzulesen, um die Ursachen für das Eingreifen Eng- 
lands kennen zu lernen. Zwischen jenen schönen Phrasen über englische Ehre 
und Verpflichtungen findet man wiederholt die Aeußerung, daß Englands 
Interessen — seine eigenen Interessen — es zur Beteiligung am Kriege nötigten. 
Denn es war Englands Interessen zuwider, daß Deutschland siegte und stärker 
aus dem Kriege hervorging. England zog das Schwert, weil es glaubte, daß 
seine eigenen Interessen dies erforderlich machten. Für die Neutralität Bel- 
giens hätte England nie das Schwert gezogen. Dies meinte ich, als ich 
in dem oben erwähnten Gespräch zu Goschen sagte, daß unter den Gründen, 
welche England bewogen, sich am Kriege zu beteiligen, der Vertrag be- 
treffend die Neutralität Belgiens für England nicht mehr ins Gewicht falle 
als ein Stück Papier. Ich hatte den Botschafter in jenem Gespräch auch 
an meine langjährigen Versuche erinnert, eine Annäherung zwischen Eng- 
land und Deutschland herbeizuführen. Eine derartige Annäherung würde 
einen allgemeinen europäischen Krieg unmöglich gemacht und den europäi- 
schen Frieden sichergestellt haben.“
	        
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