VBeutsches Reich. (Februar 9.) 75
sollte aber dadurch eine Berechtigung für den einzelnen anerkannt werden,
Vorräte in solchem Umfange für sich zurückzubehalten in einer Zeit, wo durch
die Fürsorge von Reich, Staat und Gemeinden die Lebensmittelversorgung
aller Kreise des Volkes sichergestellt werden müsse. Es ist zu hoffen, daß die
Gemeinden in weitestem Umfang von der ihnen erteilten Befugnis Gebrauch
machen werden, denn es ist eine Tatsache, daß nach dem Erlaß der Bundes-
ratsverordnung vom 5. Februar über die Bereitung von Backwaren eine
Versorgung mit Mehl in ganz großem Umfange stattgefunden hat. Es
werden also Vorräte zwischen 25 und 100 kg in sehr zahlreichen Haus-
daltungen vorhanden sein. Ihre Beschlagnahme ist auch aus dem Grunde
nokwendig, weil keinerlei Gewähr dafür besteht, daß das Mehl tatsächlich
mit den vorgeschriebenen Beimengungen verbraucht wird.
9. Febr. Zusammentritt des Preußischen Abgeordneten-
hauses.
Präsident des Abgeordnetenhauses Graf Schwerin-Löwitz eröffnet
die Sitzung: Unsere Beratungen während dieser heute beginnenden Tagung
werden sich ja nahezu ausschließlich auf die nüchterne verfassungsmäßige
Aufstellung unseres preußischen Staatshaushaltsplanes für das
Jahr 1915 erstrecken. Aber auch diese unsere Verhandlungen werden doch,
wie ich hoffe, von dem einmütigen, opferwilligen Geist unseres ganzen
Volkes beherrscht sein, von dem ich gesprochen habe; und deshalb auch von
dem einmütigen Willen, alle Sonderwünsche und auch alle irgendwie ge-
a###gten parteipolitischen Rücksichten unbedingt den großen gemeinsamen
vaterländischen Interessen unterzuordnen, wie sie heute für uns alle auf
dem Spiele stehen. Ich habe geglaubt, in diesem Sinne den allseitigen
Billen des Hauses feststellen zu dürfen, bevor wir in unsere Beratungen
eintreten.
Der Präsident macht sodann weitere geschäftliche Mitteilungen und
gedenkt der verstorbenen Mitglieder.
Mehrere Rechnungssachen werden der Kommission überwiesen. Es
folgt die erste Lesung des Etats.
Finan zminister Lentze: Als wir vor einem Jahre den Haushalts-
dlan für das Jahr 1914 feststellten und uns bemühten die Staatseinnahmen
und Staatsausgaben zutreffend zu erfassen, da hat niemand von uns daran
gedacht, daß die Voraussetzungen, von denen wir ausgegangen waren, so
bald sich ändern und die Verhältnisse ganz anders werden würden. Nach
wenigen Monaten überfielen uns Rußland, England und Frankreich ge-
meinsam, um uns zu vernichten und dem gefährlichen Nebenbuhler im
internationalen Wettbewerb den Garaus zu machen. Nie ist ein friedliches
Volk schmählicher überfallen worden; aber auch niemals haben sich die
Feinde so gründlich verrechnet. Unsere unvergleichlichen Truppen stehen
nach Ost und West in Feindesland. Unsere Flotte hat dafür gesorgt, daß
England einen Angriff auf unsere Küste bisher nicht wagte. Jedermann
in unserem Volke ist felsenfest davon durchdrungen, daß wir siegen wollen
und auch siegen werden, so große Opfer der Krieg von uns auch fordert.
Das Wirtschaftsjahr 1913 ging noch friedlich zu Ende. Seine Rech-
nung schloß mit einem Ueberschuß von 24,6 Millionen und der Ueber-
weisung an den Eisenbahnausgleichfsonds von 91,3 Millionen ab. Die
außerordentliche Schuldentilgung betrug 24,6 Millionen. An ähnliche günstige
Ergebnisse für 1914 ist natürlich nicht zu denken. Der Minister schilderte
die wirtschaftlichen Wirkungen des Krieges und wies darauf hin, daß die
drohende Krisis alsbald glücklich überwunden wurde. Namentlich die Ab-
standnahme vom Moratorium und die mit Hilfe der Reichsbank geschaffenen