672 Die äkterreichiscz-ungarische Mesarchie. (Juli 23.)
Es wäre lächerlich, wenn es nicht so traurig wäre, daß dieses Freiheit
und Fortschritt liebende Volk, welches in seiner Vorpostenstellung so viel
edles Blut im Kampfe gegen Deutschlands Feinde vergoß, welches so emp.
sänglich für deutsche Kultur war, und so viel zur Verbreitung derselben
beitrug, und welches im großen Ringen der Völker seine Zukunft zielbewußt
an der Seite Deutschlands zu sichern bestrebt ist, in weiten deutschen Kreisen
ungerecht beurteilt wird und sich gegen Verleumdungen deutschfeindlichen
Ursprungs vergebens zu wehren trachtet.
Gebe Gott, daß die Elementarkraft dieses Krieges, die manches Lügen-
gewebe zerrissen, manche Illusion mit brutaler Hand zerstört und einzelne wie
Völker gezwungen hat, mit ungeschminktem Gesichte im Lichte der Wahrheitn
zu erscheinen und ihr wirkliches Gewicht in die Wagschale der Weltgeschichte
zu werfen, wo falscher Prunk zu Fetzen wird und nur echtes Edelmetall in
feuererprobtem Glanze siegreich fortbesteht, auch diesen Täuschungen ein Ende
bereite und dauerndes Verständnis für die richtige Bewertung Ungarns erzeuge.
Wir leben in Tagen der Erprobung. Sie haben nicht nur von der
Treue, nicht nur von der zähen Tapferkeit und aufopferungsfreudigen
Vaterlandsliebe des ungarischen Volksstammes beredtes Zeugnis abgelegt.
sie beweisen auch, daß die staatserrichtende und staatserhaltende Kraft dieses
kleinen Volkes alle Mitbürger der Stephanskrone zu einem für König und
Vaterland kampfbereiten einigen Volke gestaltet.
Wie lächerlich nehmen sich all die Phrasen über ungarische Tyrannei
und Unterdrückung der Nationalitäten aus in diesen großen Tagen liebe-
und vertrauensvoller gemeinsamer Anstrengungen! Es muß der Tag end-
lich kommen, an welchem die deutsche öffentliche Meinung aufhört, dasfjenige
Volk in dieser Weise zu beurteilen, in welchem zwei Millionen Deutsche
als freie, befriedigte, treue, von allgemeiner Liebe und Achtung umgebene
Bürger ihres Vaterlandes eine der bewährtesten Stützen des Staates bilden.
Das innige Band gegenieitiger Liebe und gemeinsamen Patriotismus.
welches die große Masse unserer 5 Deutschen mit ihren ungarischen Mitbürgern
vereinigt, muß auch nach außen hin seine Früchte tragen und stärker auf
die Gemüter in Deutschland wirken als die haßerfüllte Einflüsterung einiger
aus der selbstauferlegten Rolle eines possenhaften Märtyrertums ihre phnsische
und politische Existenz fristenden Leute.
Der Toag ist gekommen, der in deutschen Herzen das mächtige Gefübl
erwecken wird: Weg mit all dem Mißverständnis, weg mit all den kleinen
Ränken kleiner Menschen, welche der innigen, dauernden Verbrüderung
der beiden Völker im Wege stehen!
23. Juli. Das Wiener K. und K. Telegraphen-Korrespondenzbüro
stellt gegenüber italienischen Ableugnungen folgendes fest:
In den amtlichen Berichten der „Agenzia Stefani“ berichtet der
italienische Generalstabschef Cadorna, die ihm in dem österreichisch- ungari-
schen Rotbuch auf Grund des Telegramms des Grafen Berchtold an den
österreichisch-ungarischen Botschafter in Rom vom 4. August zugeschriebenen
Aeußerungen nicht gemacht zu haben, wonach Italien gegen Oesterreich--
Ungarn niemals vorgehen werde, wenn letzteres den Lovcen nicht besetze
und das Gleichgewicht in der Adria nicht störe. Demgegenüber muß fest
gestellt werden, daß Generalstabschef Cadorna diese Aeußerungen am
3. August dem österreichisch-ungarischen Militärattaché in Rom gegenüber
wortgetreu machte, als dieser ihm eine Anfrage des österreichisch-ungarischen
Generalstabschefs Freiherrn v. Conrad wegen der Ausführung der für den
Kriegsfall zwischen den Verbündeten getroffenen Vereinbarungen über-
mittelte. Cadorna hat sogar bei diesem Anlaß dem Militärattache Obern