Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Erste Hälfte. (56a)

Die Ssterreichisch-ungarische Menarcie. (Dezember 7.) 695 
ungarischen öffentlichen Meinung und ich jedenfalls haben die natürliche 
Orientierung Rumäniens so beurteilt, daß Rumänien gegenüber der drohen- 
den größten Gefahr der russischen Expansion die Wahrung seiner Inter- 
essen und die Bürgschaften seiner Sicherheit im Bündnis mit der Monarchie 
und Deutschland suchen müsse. Das ist auch die zur Ueberlieferung ge- 
wordene Politik der großen rumänischen Staatsmänner gewesen und 
war vor allem die Politik des größten Staatsmannes, der bisher das 
Schicksal Rumäniens in den Händen hatte, die Politik des hochseligen Königs 
Karol. Ich werde mich jetzt, insbesondere von diesem Platze aus, jeder Rritik 
enthalten. Aber wenn ich die einfache Tatsache feststelle, daß leider in der 
letzten Zeit diese Politik zu schwanken schien, daß in Rumänien auch ent- 
gegengesetzte Strömungen aufzutauchen begannen, und daß infolgedessen 
Rumänien nicht den Platz in diesem Weltkriege eingenommen hat, den es 
nach der Auffassung von vielen hätte einnehmen sollen, so enthalte ich mich 
damit jeder Kritik. Es ist schließlich Rumäniens Sache, zu beurteilen, wem 
es sich in seinem eigenen Interesse anschließen soll. Wir können mit der 
vollkommenen Seelenruhe dem Entschlusse Rumäniens entgegensehen, den 
einerseits das Bewußtsein gibt, daß zwischen uns und Rumänien eine Ge- 
meinsamkeit von wohlverstandenen Interessen besteht, und andererseits das 
sichere Bewußtsein, daß, wie auch Rumäniens Entschluß ausfallen möge, 
dieser keinen entscheidenden Einfluß auf das Schicksal der Monarchie wird 
ausüben können. Wir halten an der Auffassung fest, daß Rumäniens 
natürlicher Platz an unserer Seite und im Bündnis mit uns ist, und wir 
richten demgemäß unsere Politik gegenüber Rumänien ein, aber wir über- 
lassen es vollständig den politischen Führern des unabhängigen rumänischen 
Staates, ob sie sich auf diesen Standpunkt stellen und die Folgerungen 
daraus ziehen wollen oder nicht. Jedenfalls erhöht die Verbindung, die 
der Bund der beiden mittteleuropäischen Mächte mit Bulgarien und der 
Türkei eingegangen ist, den Wert unseres Bündnisses für Rumänien. Denn 
diese Verbindung gewährt Rumänien an seiner südöstlichen und südlichen 
Grenze volle Sicherheit, wenn es sich uns anschließt, und andererseits 
bringt sie die Monarchie in die Lage, daß wir mit vollkommener Seelen- 
ruhe den künftigen Ereignissen entgegensehen können. 
Graf Tisza wendet sich dann gegen eine Aeußerung des Grafen Ka- 
rolyi und erklärt entschieden, er könne die Bemerkung, es sei zweifelhaft, 
wer den Krieg begonnen habe, nicht unterschreiben. Die Monarchie sei 
zweisellos dem Verteidigungscharakter des Bündnisses treu geblieben. Die 
Aeußerungen der Ententepresse zeigten selbst, daß man auch auf gegnerischer 
Seite den Zweibund nicht des Angriffes beschuldigen konnte, da ja die 
Monarchie bei Beginn des Krieges als der zweite kranke Mann in Europa 
hingestellt und ihre Zerstückelung als eines der Ziele der Entente bezeichnet 
worden sei. Niemals habe es einen gerechteren Kampf um die Existenz, 
einen gerechteren Krieg zur Selbstverteidigung gegeben als den gegen- 
wärtigen. 
Ueber die Frage des Friedensschlusses sagt Graf Tisza: 
Wann der Friede zustande kommt, hängt ausschließlich von unseren 
Feinden ab. Ze später die Feinde zu der Ueberzeugung kommen, daß ein 
weiteres Kriegführen nur ein zweckloses, verbrecherisches Blutvergießen ist, 
je größere Siege wir ernten, bis diese Ueberzeugung eintritt, je größer die 
Opfer sein werden, die der Krieg uns auferlegt, um so schwerer werden 
natürlich für unsere Feinde die Friedensbedingungen sein. Ich meine, 
wir können in der Tat behaupten, daß die sachlichen Vorbedingungen des 
Friedens gegeben sind. Sie waren ja eigentlich immer gegeben, denn 
die Möglichkeit des Friedens hätte in dem Augenblick eintreten können,
	        
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