Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Erste Hälfte. (56a)

Bie sstterreichischu#garische Monarchie. (Dezember 9.—14.) 699 
wirtschaftliche Annäherung an Deutschland und ist überzeugt, daß sie auch 
zustande kommen wird unter der Voraussetzung, daß unsere wirtschaftliche 
Unabhängigkeit und staatliche Souveränität gewahrt werde. 
Abg. Paul Jaczko (Unabhängigkeitspartei) tritt für eine nachdrückliche 
Unterstützung der Industrie ein. 
Ministerpräsident Graf Tisza führt aus, der Kampf mit agra- 
rischen und merkantilistischen Schlagworten habe dem Lande schon großen 
Schaden verursacht. In der gegenwärtigen Lage wäre es doppelt bedauer- 
lich, wenn man sich bei Verhandlung der volkswirtschaftlichen Interessen 
des Landes von solchen Schlagworten leiten ließe. 
Auf die Frage des Abg. Laehne erwidert der Ministerpräsident, die 
Regierung befasse sich pflichtgemäß mit der Vorbereitung der Ausgleichs- 
frage, denn in jedem Augenblick könne vom handelspolitischen Gesichtspunkt 
aus eine Situation eintreten, in welcher es von größtem Schaden wäre, 
wenn wir die Verhandlung der zwischen Oesterreich und Ungarn schwebenden 
wirtschaftlichen Fragen nicht vorbereitet hätten. Diese Vorbereitung sei jetzt 
im Zuge. Vorläufig, erklärt der Ministerpräsident, könnte ich überhaupt 
nicht sagen, wann die Regierung in die Lage kommen wird, mit Gesetz- 
entwürfen vor den Reichstag zu treten. Ich kann aber jedenfalls betonen, 
daß auch die Regierung es lieber hätte, wenn die Ausgleichsfragen durch 
einen neugewählten Reichstag entschieden würden, und sie wird vor den 
gegenwärtigen Reichstag mit Fragen solcher Art nur in dem Falle treten, 
wenn in der gegebenen Lage wichtige allgemeine Interessen dies gebieterisch 
erheischen. Diese Möglichkeit kann eintreten und vor dieser Möglichkeit 
können wir unsere Hände nicht binden, denn es hängt nicht von uns ab, 
wie sich auf der ganzen Welt die handelspolitischen Verhältnisse gestalten. 
Aber bloß diese, ich möchte sagen, Zwangslage, d. h. wenn volkswirtschaft- 
liche Lebensfragen des Landes dadurch geschädigt würden, daß wir mit 
der Regelung dieser Angelegenheiten auf den neuen Reichstag warten, 
könnte die Regierung veranlassen, den gegenwärtigen Reichstag mit der 
Verhandlung dieser Frage zu beschäftigen. 
Die Vorlage wird hierauf im allgemeinen und in den Details an- 
genommen. 
14. Dez. Österreich-Ungarn beantwortet die amerikanische Note 
vom 9. d. M. 
Den Wortlaut s. im Anhang zu Vereinigte Staaten. 
20. Dez. Der Kaiser erläßt nachstehendes Handschreiben: 
Lieber Herr Vetter, Erzherzog Karl Stephan! 
Als Protektor des gesamten Kriegsfürsorgewesens haben Euer Liebden 
eine vom gesellschaftlichen und staatlichen Standpunkte wertvolle Tätigkeit 
entfaltet zugunsten jener braven Soldaten, die auf dem Felde der Ehre in 
ihrer Gesundheit geschädigt einer liebevoll führenden Hand bedürfen, um 
den Weg zu einer auf ehrenhafter Arbeit aufgebauten bürgerlichen Existenz 
zurückzufinden. Alle Hilfsmittel der modernen WMissenschaft und Technik be- 
nützend, haben die von ihnen mit warmer persönlicher Anteilnahme ge- 
förderten Unternehmungen zahlreichen Kriegsinvaliden neuen Lebensmut 
gegeben. Insbesondere die Aktion zur Beschaffung künstlicher Gliedmaßen 
und die Fürsorge für Erblindete gilt auch in weiten Kreisen des Aus- 
landes als vorbildlich. In dankbarer Würdigung dieser Werke tröstender 
und aufrichtender Menschenliebe spreche ich Ihnen meine belobende An- 
erkennung aus.
	        
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