Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Erste Hälfte. (56a)

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20. Dez. (Ungarn.) Der Ministerpräsident Graf Tisza führt 
im Magnatenhause bei der Beratung des Budgetprovisoriums über 
Krieg und Frieden aus: 
Die Regierung, die das Schicksal zu der hohen, aber schweren Auf- 
gabe berufen hat, die Angelegenheiten der ungarischen Nation in dem 
gegenwärtigen großen Augenblicke zu vertreten, ist sich vollkommen bewußt, 
daß die gesamte Nation, ohne Unterschied der Konsession, der Nationalität 
und der Partei so hehre Zeugnisse der Vaterlandsliebe und Opferwilligkeit 
und solche Beweise der Lebenskraft gegeben hat, daß den Personen, die jetzt 
für das Schicksal der ungarischen Nation verantwortlich sind, lediglich die 
Pflicht übrig bleibt, die diesen Kundgebungen der Nation innewohnende 
Lebenskraft zum Wohle der Nation zu verwerten. Hohes Haus! Diesen 
Krieg haben nicht wir hervorgerufen. Nicht wir waren es, die gegen in 
Frieden lebende Nationen, Staaten oder Reiche einen Angriff richteten. 
Nicht wir waren es, die lebende Stücke aus dem Körper friedfertiger Nach- 
barn mit räuberischer Hand herausreißen wollten. Aber wenn der Krieg 
nun einmal heraufbeschworen wurde, werden wir ihn bis zum Ende durch- 
kämpfen mit jener Entschlossenheit, die den Sieg an unsere Fahnen geheftet 
hat. Und wenn man fragt, wie lange dieser Krieg dauert, kann ich nur 
erwidern, daß die Antwort jene zu erteilen haben, die ihn heraufbeschworen. 
Diesen Krieg werden wir zu Ende kämpfen, bis ihre gegen unsere Sicher- 
heit, Unabhängigkeit und nationale Größe gerichteten Angriffe aufhören. 
Wir werden diesen Krieg fortführen, bis unsere Feinde einsehen, daß jede 
weitere Fortsetzung desselben der Menschheit nur überflüssige und zwecklose 
Leiden verursacht, ohne unsere Feinde auch nur um Haaresbreite ihren 
Zielen näher zu bringen. Die Ereignisse, die auf den Kriegsschauplätzen 
seit nunmehr anderthalb Jahren sich abgespielt haben, brachten die Situation 
zur Reife. Heute können bereits unsere Feinde damit im reinen sein, daß 
sie das Ziel ihres Angriffes nicht erreichen können, und auch darüber im 
klaren sein, daß unser Sieg die Bürgschaften unserer Sicherheit schaffen 
wird, aber keineswegs Angriffe gegen die Existenz der übrigen Großmächte 
Europas in sich schließt, wie ihr Sieg sie gegen unsere Existenz in sich ge- 
schlossen hätte. Heute ist jede weitere Fortsetzung des Krieges von ihrer 
Seite ein ganz zweckloses Blutvergießen, eine ganz zwecklose Kraftvergeu- 
dung. Wenn die Fortsetzung des Krieges leider auch von uns den Verlust 
wertvollen Blutes erheischt, ist es doch zweifellos, daß diese Fortsetzung 
viel größere Opfer dem verlierenden Teile auferlegt, der wenigstens teil- 
weise auch die Verluste des siegenden Teiles zu tragen haben wird. Heute 
wird jeder Tropfen Blutes, der in diesem schrecklichen Ringen der Nationen 
noch vergossen wird, vergeblich vergossen und schreit zum Himmel. Die 
Verantwortung haben jene zu tragen, die diesen für die ganze Welt so 
schrecklichen Krieg aus egoistischen Absichten und durch heuchlerische Schlag- 
worte verdeckten Eroberungsgelüsten heraufbeschworen haben und ihn nicht 
einstellen wollen. 
21. Dez. Eine neue Note Amerikas in der Ancona-Angelegen- 
heit wird vom Botschafter Penfield überreicht. 
Siehe den Wortlaut im Anhang zu Vereinigte Staaten. 
22. Dez. In der Wiener Generalversammlung des mittel- 
europäischen Wirtschaftsvereins in Österreich erstattet der 
Vereinspräsident Ernst Freiherr v. Plener den Tätigkeitsbericht.
	        
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