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eigene Sicherheit erstrebe, war die Antwort, Rußland habe nichts getan,
was Anlaß zum Zweifel an seiner Mäßigung gebe; aber Deutschland möge
in Wien intervenieren, um militärische Operationen gegen Serbien zu ver-
hindern (Gelbbuch Nr. 56). Und als der deutsche Botschafter, gewarnt durch
das Verhalten des „Echo de Paris“, den Vorschlag machte, über die Be-
sprechung eine Notiz an die Presse zu geben, in der gesagt wurde, daß er
in einer neuen Unterhaltung mit dem Minister des Aeußern die Mittel
zur Erhaltung des Friedens im freundschaftlichsten Geist und im Gefühl
der friedlichen Solidarität geprüft habe, da erregte der Gedanke an die
öffentliche Bekundung einer „solidarité pacifigue“ mit Deutschland einen
wahren Schrecken (Gelbbuch Nr. 57), und die vom deutschen Botschafter
vorgeschlagene Notiz wurde schließlich ohne den verdächtigen Ausdruck der
Solidarität und des freundschaftlichen Geistes der Presse mitgeteilt. —
„Cette rédaction. volontairement terne, évitait une solidarite avec
IAllemagne qui pourrait estre mal interpretée“ (diese absichtlich farblose
Redaktion vermied eine Solidarität mit Deutschland, die falsch ausgelegt
werden könnte). So zu lesen in einer Zirkularnote, die das französische
Ministerium des Auswärtigen über diesen wichtigen Fall an ihre auslän-
dischen Missionen richtete (Gelbbuch Nr. 62). Dieselbe Zirkularnote fügt
hinzu, die wahrscheinliche Auslegung des Schrittes des Herrn von Schoen
sei, daß er versuche, Frankreich in den Augen Rußlands zu kompromittieren
(à compromettre la France au regard de la Russie). Der französische
Minister des Auswärtigen p. i. verkündete in einer weiteren Zirkularnote
vom 29. Juli seinen Stolz, daß der deutsche Botschafter vergeblich versucht
habe, Frankreich in eine solidarische deutsch-französische Aktion in Peters-
burg hineinzuziehen (a vainement tenté de nous entrainer dans une action
solidaire franco-allemande à Petersbourg). Er wiederholt die Behauptung,
daß die russische Regierung die größten Beweise ihrer Mäßigung gegeben
habe und daß Rußland in keiner Weise den Frieden bedrohe, daß dagegen
in Wien gehandelt werden müsse und alle Gefahr aus Wien komme (Gelb-
buch Nr. 85).
Aus keinem Dokument des französischen Gelbbuchs und ebensowenig
aus dem russischen Orangebuch und dem englischen Blaubuch ergibt sich,
daß Frankreich in irgendeinem Stadium gewagt hätte, der russischen Re-
gierung einen ernstlichen Rat im Sinne des Friedens zu erteilen; es sei
denn, daß man den Ausdruck des Wunsches, Rußland möchte Maßnahmen
vermeiden, die Deutschland einen Vorwand zur Mobilmachung geben
könnten (Gelbbuch Nr. 102), als eine aufrichtige Vermittlungstätigkeit im
Sinne des Friedens ansehen will, während solche Wünsche in Wirklichkeit
wohl richtiger als taktische Fingerzeige aufgefaßt werden, um Deutschland
solange hin zuhalten, bis die von Frankreich in jener Zeit mit allen Mitteln
angestrebte Sicherung der Waffenhilfe Englands erreicht war.
Der unbedingten Sicherung der englischen Bundesgenossenschaft, nicht
irgendwelcher Vermittlungstätigkeit, galten in jenen kritischen Tagen die
Bemühungen der französischen Diplomatie, und solange dieses Ziel nicht
erreicht war, wurde auch das entscheidende Wort gegenüber Rußland nicht
gesprochen. Mag aus dem französischen Gelbbuch hundertmal der Eindruck
sich ergeben, als ob die französische Hilfe für Rußland selbstverständlich
gewesen sei, so selbstverständlich, daß eine besondere Erklärung hierüber
an Rußland — die man im Gelbbuch vergeblich suchen würde — über-
haupt nicht nötig gewesen wäre, — das Orangebuch des russischen Ver-
bündeten weiß es besser. In diesem ist ein telegraphischer Erlaß Ssasonows
an Iswolsky vom 29. Juli abgedruckt (Orangebuch Nr. 58), und zwar als
letztes der vom 29. Juli datierten zehn Dokumente, so daß man annehmen