Beutsfchro Peich. (Januar 26.) 33
kann, daß dieses Telegramm erst am späten Abend des 29. Juli abgeschickt
worden ist. In dem Erlaß wird Iswolsky beauftragt „d'exprimer an
Gouvernement français notre sincèere reconnaissance pour la declaration
due I'Ambassadeur de France m'a faite en son nom en disant qdue nous
pouvons compter entièrement sur I°/Appui de notre allice la France“
(der französischen Regierung unsere aufrichtige Erkenntlichkeit auszudrücken
für die Erklärung, die der französische Botschafter mir in deren Namen
gemacht hat, daß wir voll und ganz auf die Unterstützung Frankreichs als
unseres Bundesgenossen zählen dürfen). Ssasonow fügte hinzu: „Dans les
circonstances actuelles cette déclaration nous est particulirement pré-
cieuse.“" (Unter den gegenwärtigen Umständen ist uns diese Erklärung ganz
besonders wertvoll.)
Hieraus ergibt sich also, daß Frankreich am Abend des
29. Juli, nicht früher und nicht später, Rußland die aus-
drückliche und vorbehaltlose Erklärung der Waffenhilfe ab-
gegeben hat.
Warum nicht früher? Und warum fand Frankreich am 29. Juli die
Entschlußfähigkeit zu diesem entscheidenden Schritt?
Der Schlüssel liegt bei
England.
Frankreichs Verhältnis zu England trägt seit 1905 den offiziellen
Namen der „entente cordiale“. Einvernehmen, nicht Bündnis. Im eng-
lischen Parlament haben die für die auswärtige Politik verantwortlichen
Minister stets erklärt, irgendeine vertragsmäßige Bindung des herzlichen
Einvernehmens zwischen den beiden Nationen eristiere nicht; für England
bestehe keinerlei bindende Verpflichtung; der Entscheidung des Parlaments
sei in keiner Weise vorgegriffen.
Heute wissen wir mehr.
Zwischen Sir Edward Grey als Staatssekretär des britischen Foreign
Office und Herrn Paul Cambon als Botschafter der französischen Republik
waren am 22. und 23. November 1912 Briefe ausgetauscht worden, von denen
der Brief Greys — den Paul Cambon lediglich im ungefähren Wortlaut
bestätigte — hier Platz finden möge (Blaubuch Nr. 105, Anlage 1):
Foreign Office, November 12, 1912.
My dear Ambassador,
From time to time in recent Fears the French and British naval
and military experts have consulted together. It has always been
understood that such consultation does not restrict the freedom of either
Government do decide at any future time whether or not to assist the
other by armed force. We have agreed that consultation, between ex-
perts is not. and ought not to be regarded as, an engagement that
commits either Government to action in a contingency that has not
arisen and may never arise. The disposition, for instance, of the French
and British fleets respectively at the present moment is not based upon
an engagement to cooperate in war.
You have, however, pointed out that, if either Government had
grave reason to expect an unprovoked attack by a third Power, it
might become essential to know wbether it could in that event depend
upon the armed assistance of the other.
1 agree that, if either Government had grave reason to expect an
unprovoked attack by a third Power, or something that threatened the
general peace, it should immediately discuss with the other whether
both Governments should act together to prevent aggression and to
Europäischer Geschichtskalender. LVI. 3