36 Beutsches Reich. (Januar 26.)
England sich entschlossen auf die Seite Rußlands und Frankreichs stelle,
werde Deutschland auf Oesterreich-Ungarn drücken und die Kriegsgefahr
sei beseitigt (Blaubuch Nr. 17). Sir G. Buchanan antwortete noch am
27. Juli Herrn Ssasonow auf diese immer wiederkehrende Argumentation
in durchaus zutreffender Weise, er irre sich, wenn er glaube, dan ein solches
Vorgehen der Sache des Friedens dienen werde. Durch eine solche Drohung
werde Deutschland lediglich steif gemacht werden („Their attitude would
merely be stiffened by such a menace“") (Blaubuch Nr. 44).
Während der englische Botschafter in Petersburg auf diese Weise
aussprach, was lediglich selbstverständlich war, daß nämlich eine Drohung
Englands an Deutschland ihren Zweck nicht nur verfehlen, sondern die
kritische Lage verschärfen müsse, begann man in London dem Drängen
Frankreichs und Rußlands nachzugeben.
Sir Edward Grey ließ sich zunächst von Paul Cambon seinen Konferenz-
vorschlag einflüstern, und zwar in der folgenden Form: das britische Kabinett
solle von der deutschen Regierung verlangen „de prendre T’initiative d’'une
démarche à Vienne pour offrir une mediation, entre I/Autriche et la
Serbie, des quatre Puissances non directement intéresses“ (die Initiative
zu ergreifen zu einem Schritt in Wien, um eine Vermittlung der nicht
direkt interessierten vier Mächte in der österreichisch-ungarisch-serbischen.
Frage anzubieten). (Gelbbuch Nr. 32.) Der Vorschlag war von vornherein
aussichtslos; denn abgesehen davon, daß er Deutschland eine Initiative
bei seinem Bundesgenossen zuspielen wollte, die Frankreich bei Rußland
ängstlich ablehnte, war der österreichisch-ungarische Standpunkt, daß eine
Einmischung oder Vermittlung Dritter in den österreichisch-ungarisch-
serbischen Konflikt unannehmbar sei, bekannt; und ferner hätte Oesterreich-
Ungarn durch die Annahme des Grey-Cambonschen Vorschlags eo ipso
Rußland im österreichisch--ungarisch-serbischen Konflikt als „Puissance
directement intéressée“ anerkannt was im striktesten Gegensatz zu den
österreichisch-ungarischen Auffassungen und Absichten stand. Aber indem
Paul Cambon Sir Edward Grey auf dieses Eis lockte, erreichte er mit
der sicher zu erwartenden deutschen Ablehnung eine Verschlechterung der
Stimmung des englischen Kabinetts gegenüber Deutschland.
Daneben zeigten sich aus dem Kreise der britischen Regierung gewisse
Ermutigungen für Frankreich und Rußland. Welche Kräfte dabei am Werke
waren, ergibt sich aus dem Zusammenhalt zweier Telegramme (Gelbbuch
Nr. 63 und Nr. 66), die der französische Geschäftsträger in London am
27. Juli an seine Regierung richtete. Die beiden Telegramme mögen hier
im Wortlaut Platz finden:
Nr. 63.
„Londres, le 27 juillet 1914.
L'Ambassadeur d’Allemagne et
IAmbassadeur d’Autriche-Hongrie
laissent entendre qu’ils sont sürs
due I’Angleterre garderait la neu-
tralité si un conflit venait à éclater.
Sir Arthur Nicolson m'a dit que,
cependant, le prince Lichnowski
ne pouvait, après la conversation
dqu’il a eue avec lui aujourd’hui,
conserver aucun doute sur la liberté
du'’entendait garder le Gouverne-
ment britannique d’intervenir, au
Cas ou il le jugerait utile.
„London, 27. Juli 1914.
Der deutsche und der österreichisch-
ungarische Botschafter lassen durch-
blicken, sie seien sicher, daß England
im Falle eines Konflikts neutral
bleiben werde. Sir Arthur Nicolson
kat mir indessen gesagt, der Fürst
ichnowsky könne nach der Unter-
haltung, die er heute mit ihm ge-
habt habe, nicht mehr darüber im
Zweifel sein, daß die englische Regie-
rung sich die Freiheit des Eingreifens
vorzubehalten gedenke, für den Fall
ihr dies nützlich erscheine.