Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Gtehbritannien. (August 26.) 813 
2. Die Verhandlungen über ein englisch-deutsches Abkommen, auf die 
der deutsche Reichskanzler anspielte, gelangten zu einem Punkte, bei dem 
es klar war, daß sie einen Erfolg nur haben würden, wenn wir ein Ver- 
sprechen abgäben, das darauf hinausgelaufen wäre, daß wir absolut neutral 
blieben, während Deutschland freie Hand behalten hätte, sich im Rahmen 
seiner Bündnisse an einem europäischen Kriege zu beteiligen. 
Dies kann und wird durch die Veröffentlichung des Verhandlungs- 
berichtes, der den Aufzeichnungen des Foreign Office entnommen werden 
wird, aufgeklärt werden. 
3. Der Kanzler zitiert einen einzelnen Satz aus meiner Rede vom 
2. August 1914, um zu beweisen, daß wir zum Kriege bereit waren. Schon 
im nächsten Satze, den er hätte anführen konnen, aber nicht angeführt hat, 
sagte ich: „Wir werden, fürchte ich, durch diesen Krieg furchtbar leiden, 
gleichgültig, ob wir uns daran beteiligen oder davon fernhalten.“ Ich über- 
lasse es jedermann außerhalb Deutschlands in jedem beliebigen neutralen 
Lande, zu urteilen, ob das Worte eines Mannes sind, der den europäischen 
Krieg wünschte und plante, oder eines Mannes, der sich bemüht hatte, ihn 
zu verhindern. Der Grad der falschen Auslegung eines vereinzelten Satzes 
durch den deutschen Reichskanzler wird jedermann, der die ganze Rede liest, 
klar sein. Was die andere Erklärung, die mir zugeschrieben wird, betrifft, 
so sagte ich nicht einmal, als wir noch ganz freie Hand hatten und als 
Japan, das unser Verbündeter war, noch nicht am Kriege beteiligt war 
und wir noch keine Verpflichtung gegenüber den anderen Verbündeten ein- 
gegangen waren, wie jetzt durch das Abkommen vom 5. September 1911, 
etwas so Lächerliches und Unrichtiges, wie, daß es im Interesse Deutsch- 
lands läge, daß wir uns am Kriege beteiligten, und daß wir es täten, 
um Rußland zurückzuhalten. 
Serbien hatte beinahe das ganze österreichische Ultimatum ange- 
nommen, so hart und ungeheuer es war. Die unentschiedenen Punkte 
häten in einer ehrenvollen und gerechten Weise in einer Konferenz, die 
eine Woche gedauert hätte, erledigt werden können. Deutschland hätte 
wissen können, ja mußte wissen, daß wir dabei eine ebenso ehrliche und 
ehrenhafte Rolle gespielt hätten wie, nach Deutschlands eigener Anerkennung, 
bei der Balkankonferenz, daß wir nicht auf einen diplomatischen Sieg einer 
Gruppe, sondern auf eine gerechte Lösung hingearbeitet hätten und bereit 
gewesen wären, uns gegen jeden Versuch, diese Konferenz unfair zum 
Nachteile Deutschlands und Oesterreich-Ungarns auszunützen, gekehrt hätten. 
Die Weigerung Deutschlands, sich an der Konferenz zu beteiligen, hat nicht 
über die britische Teilnahme an dem Kriege, wohl aber über die Frage, 
ob Europa Krieg oder Frieden haben würde, entschieden. Sie unterzeichnete 
das Todesurteil vieler Hunderttausende, die in diesem Kriege getötet 
wurden. Man muß auch nicht vergessen, daß der Zar von Rußland dem 
Kaiser von Deutschland vorschlug, daß die österreichisch-serbische Streitfrage 
durch das Haager Schiedsgericht entschieden werden solle. Gibt es einen 
einzigen aufrichtigen Menschen in Deutschland und Oesterreich-Ungarn, der 
bei dem Rückblick auf das vergangene Jahr nicht bedauert, daß weder der 
britische noch der russische Vorschlag angenommen wurde? 
4. Der Krieg wäre vermieden worden, wenn dem Konferenzvorschlage 
zugestimmt worden wäre. Deutschland entschloß sich unter dem nichtigsten 
Vorwande zum Kriege. Ich wollte nichts an einer formellen Frage scheitern 
lassen und erklärte mich bereit, jeder Art von Vermittlung zuzustimmen, 
die Deutschland vorschlagen könnte. Wenn mein Vorschlag nicht annehmbar 
sei, sagte ich, so könnte die Vermittlung auf jede Weise, die Deutschland 
für möglich erachte, angebahnt werden, wenn Deutschland nur im Interesse
	        
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