816 Greßbrikannien. (September 1.)
einen Tatsachenbericht zu geben, der aus amtlichen englischen Aktenstücken
zusammengestellt worden ist.
Anfang 1912 hat der deutsche Reichskanzler Haldane folgende Formel
vorgelegt, die dem Standpunkt der deutschen Regierung gerecht würde:
1. Die hohen kontraktschließenden Parteien geben einander die Ver-
sicherung des Wunsches nach Frieden und Freundschaft.
II. Keine wird ohne Herausforderung einen Angriff auf die andere
unternehmen oder vorbereiten oder sich einer Kombination und einem Plane
anschließen, der einen Angriff auf die andere zum Ziele hat, oder teil-
nehmen an einem Plane zu einer maritimen oder militärischen Unter-
nehmung, sei es allein oder im Bunde mit einer anderen Macht, der dazu
ins Leben gerufen wird. Die Kontraktschließenden erklären, daß sie durch
keine derartige Abmachung gebunden sind.
III. Wenn eine der kontraktschließenden Parteien in Krieg mit einer
oder mehreren Mächten verwickelt wird, in dem sie nicht der Angreifer ist,
so wird die andere Partei gegenüber der Macht, die so in Schwierigkeiten
geraten ist, mindestens wohlwollende Neutralität beobachten und ihr Bestes
tun, um die Lokalisierung des Konfliktes zu erreichen. Wenn eine der
Parteien durch eine auf der Hand liegende Herausforderung von einer
dritten Parlei gezwungen wird, Krieg anzufangen, so verpflichten die Kon-
traktschließenden sich zu einem Meinungsaustausch über die Haltung in
einem solchen Konflikt.
IV. Die Pflicht der Neutralität, die aus dem vorherigen Artikel
hervorgeht, findet keine Anwendung, insoweit sie mit wereits bestehenden
Abmachungen nicht vereinbar ist, die die Parteien geschlossen haben.
V. Der Abschluß neuer Vereinbarungen, welche es einer Partei un-
möglich machen würde, gegenüber der anderen Neutralität zu bewahren,
ausgenommen in den im Artikel IV vorgesehenen Fällen, ist in Ueberein-
stimmung mit dem in Artikel II Vorgesehenen ausgeschlossen.
VI. Die Parteien erklären, alles, was in ihrer Macht liegt, zu tun,
um Differenzen und Mißverständnisse zu verhindern, die zwischen ihnen
und anderen Mächten entstehen sollten.
Diese Formel wäre unbillig und einseitig in ihrer Wirkung gewesen.
Infolge der allgemeinen Lage der europäischen Mächte und der Vertrags-
pflichten, die durch sie gebunden waren, wäre das Ergebnis der Artikel 1V
und V gewesen, daß, während Deutschland im Falle eines europäischen
Konfliktes die Freiheit behalten hätte, seinen Freunden zu helfen, es Eng-
land verboten gewesen wäre, die Finger zur Verteidigung der seinigen zu
rühren. Deutschland konnte es ohne Schwierigkeit so fügen, daß der formelle
Beginn der Feindseligkeiten von Oesterreich-Ungarn ausging, wie aus dem
klar erhellt, was im Juli 1914 vorging, während, sofern Rußland von
zwei Mächten angegriffen wurde, Frankreich verpflichtet gewesen wäre, ihm
zu Hilfe zu kommen. Mit anderen Worten, die Verpflichtung, neutral zu
bleiben, die Deutschland anbot, wäre absolut wertlos geblieben, weil es
sich immer auf die Notwendigkeit, die unter dem Dreibunde bestehenden
Vertragsverpflichtungen einzuhalten, hätte berufen können, um seine Neutra-
lität aufzugeben. Andererseits wäre für Großbritannien kein derartiges
Vorgehen möglich gewesen, wie ernst auch immer die Herausforderung ge-
wesen wäre, weil es durch keine Bündnisse gebunden war, außer an Japan
und Portugal, und der Abschluß neuer Bündnisse durch den Artikel V un-
möglich geworden wäre. In der Tat hätte, wie sich später deutlich zeigte, die
Gewähr einer absoluten Neutralität auf der einen Seite bestanden, aber nicht
auf der anderen. Es war für uns unmöglich, einen so offenkundig ungerechten
Vertrag einzugehen. Die Formel wurde deshalb von Grey verworfen.