Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

826 Grokbritaunien. (September 15. — 17.) 
Ansichten der Regierung annehmen wollten, könnten sie ebensogut nach 
Hause gehen und sich nützlicher beschäftigen. Die Regierung habe 13 Monate 
freie Hand gehabt. Die Nation beginne, der Zensur müde zu werden. Die 
Politik der Geheimkrämerei könne nicht viel länger dauern. Die Nation 
sei entschlossen, zu wissen, wie der Krieg geführt wird, und wird 
bald fordern, daß nichts geheim bleibe. Die Nation verlange Bescheid 
darüber, wie der Schutz Londons und der Zustand des Flugdienstes be- 
schaffen sei. 
Mac C. Scott (lib.) erklärte, der einzige Weg, den Krieg zu gewinnen, 
sei, der Regierung zu vertrauen. Durch varlamentarische Debatten werde 
der Krieg nicht gewonnen. Einige Abgeordnete meinten, daß die Regierung 
kein Vertrauen mehr verdiene. Das seien dieselben, die die Koalition ge- 
schaffen hätten und sie jetzt bekämpfen. 
Asgquith ermahnte die im aktiven Offiziersverhältnis stehenden Ab- 
geordneten, sich ihrer Verantwortung bewußt zu bleiben. Asquith bedauerte, 
daß die öffentliche Streitfrage über die Wehrpyflicht entstanden sei. Aber 
die heutige oberflächliche Debatte sei die unbefriedigendste Art, das schwierige 
Problem zu behandeln. Wenn die Regierung demnach ihre Schlüsse ge- 
zogen habe, werde sie es dem Hause mitteilen, worauf die Debatte folgen 
werde. 
Sir Ed. Grey erklärte noch in Beantwortung einer Anfrage, der 
gegenwärtige Zustand der Unordnung in Persien nähme die Sorge und 
die Aufmerksamkeit der Regierung in Anspruch, die keine Maßregel unter- 
lassen werde, um britisches Leben und Eigentum zu schützen. Ferner er- 
klärte Grey auf eine Anfrage, ob die Regierung jetzt erlaube, daß Deutsch- 
land bestimmte Güter nach Amerika ausführe, die Regierung habe 
sich in bestimmten Fällen verpflichtet, Güter feindlichen Ursprungs, die vor 
dem 1. März bestellt wurden und bezahlt sind, unbehindert verfrachten zu 
lassen. In solchen Fällen würde das Ausfuhrverbot die neutralen Besitzer 
und deren Güter treffen, ohne dem Feinde einen Schaden zuzufügen. In 
besonderen Fällen seien auch besondere Erleichterungen für die freie Be- 
förderung von Arzneimitteln, chemischen Stoffen u. dgl. zugestanden worden, 
wenn der Beweis geliefert wird, daß sie nirgends sonst als im Feindes- 
lande erhältlich sind und in einem neutralen Lande Mangel daran bestehe. 
Man dürfe nicht vergessen, daß man mit den einschränkenden Bestimmungen 
für die Schiffahrt nicht bezweckt habe, die Neutralen zu benachteiligen, son- 
dern dem Feinde einen materiellen Schaden zuzufügen. 
Der Unterstaatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, Lord Robert 
Cecil, antwortete aus die Frage, ob Friedeusunterhandlungen statt- 
fanden, es sei ihm unmöglich, zu sagen, was für Besprechungen zwischen 
Deutschland und den Vereinigten Staaten stattfanden, da sie nicht zu seiner 
Kenntnis gelangt seien. Soviel bekannt ist, machte die deutsche Regierung 
keine direkten Friedensvorschläge. Man könne sich augenblicklich kaum vor- 
stellen, daß die Möglichkeit für Deutschland bestehe, Vorschläge zu machen, 
die von den Alliierten in Erwägung gezogen werden könnten. England 
werde keine Friedensvorschläge anders als in Uebereinstimmung mit den 
Bundesgenossen oder mit durch Vertrag umschriebenen Pflichten in Er- 
wägung ziehen. — Weiter sagte Lord Cecil aus, er könne nicht ausführlich auf 
die Antwort von Sir Edward Grey auf die Rede des deutschen Reichs- 
kanzlers im deutschen Reichstage eingehen. Der deutsche Staatssekretär 
Helfferich habe auf die Erlangung einer Kriegsentschädigung hin- 
gedeutet, wahrscheinlich, um die Deutschen zu ermutigen. England könne 
selbstverständlich eine solche Bedingung niemals annehmen, ebensowenig 
könne England eine Beschränkung seiner Seemacht in Betracht ziehen lassen,
	        
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