Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Grebritannien. (Oktober 20.) 841 
wendig gemacht, Artikel 57 der Londoner Deklaration zu widerrufen, der 
bezweckte, die Flagge eines Dampfers als genügenden Beweis für seine 
neutrale oder feindliche Haltung gelten zu lassen. Man kehrt nun zur alten 
Methode zurück, indem man wieder die Nationalität des Besitzers feststellt, 
den neutralen Teil der Ladung unbehelligt läßt, den feindlichen konfisziert 
und für Rechnung der Krone verkauft. Das Schiff selbst wird je nach Um- 
ständen verkauft, wobei die neutralen Mitbesitzer den feindlichen Anteil er- 
werben können. Deutschland hat den Versuch gemacht, die Blockade durch 
allerhand geschickte und ungesetzliche Kunstgriffe zu schwächen. Hugo Stinnes 
hatte Jensen acht Schiffe fremder Nationalität in Kopenhagen aufkaufen 
lassen, Jensen wurde arretiert, Theodor Lehr in Rotterdam schloß dann 
die Verhandlungen ab. Die Schiffe sollten im Namen der American Trans- 
Stlantic Co, of New TVork eingetragen werden, doch wurde dies durch die 
amerikanischen Behörden verhindert und Jensen konnte keine Flagge für 
seine Schiffe bekommen. Es liegt genügend Grund vor, anzunehmen, daß 
eine Reihe von Schiffen, welche entweder ganz oder teilweise deutsches 
Besitztum sind, mehr erfolgreich waren und jetzt ungestört den Handel ver- 
mitteln. Die Aufhebung des erwähnten Artikels, die Verschärfung der 
Blockade unsererseits ist eine passende Antwort auf die unverschämten For- 
derungen des notorischen Herrn Ballin in Hamburg, welcher offen erklärt, 
daß die „Freiheit der Meere“ nicht durch Verträge gesichert werden kann, 
daß Deutschland vor allem eine maritime Basis am Eingang und Ausgang 
des Kanals haben muß. Da die Macht Englands zur See von Deutschland 
herausgefordert worden ist, mag der ganzen Welt gesagt sein, daß wir kein 
Jota unserer gesetzmäßigen Vorteile aufgeben werden. Sie bedeuten für 
alle freien Nationen der Welt die Bewahrung vor einem Uebergang der 
militärischen zur maritimen Tyrannei Deutschlands. Unsere Macht zur See 
ist eine Bedingung für unsere Eristenz, eine Bedingung, welche niemanden 
bedroht und den Piraten zum Schrecken dient. Unser Entschluß, sie mit 
aller Macht zu verteidigen, ist die beste Antwort für die inspirierten Ver- 
mittler und die aufdringlichen Neutralen, welche heimlich in England und 
den verbündeten Staaten eine günstigere Berücksichtigung von deutschen 
Friedensbedingungen betreiben. Wir warnen sie und alle Diplomaten, 
Finanzmänner und Intriganten, daß sie vergeblich arbeiten und den ge- 
rechten, leidenschaftlichen Unwillen einer in dem Wunsche vereinten Nation, 
den Krieg bis zum vollständigen Siege durchzuführen, auf sich laden. 
W0. Okt. Premierminister Asquith ist an einem Darmleiden 
erkrankt und bedarf einige Tage der Ruhe. 
20. Okt. (Oberhaus.) Debatte über die Abwehrmaßregeln 
gegenüber den deutschen Luftschiffen. 
Lord Strachie sagt: Die Abwehrgeschütze scheinen bei dem letzten An- 
griff deutscher Luftschiffe auf London (am 13. Okt.) ebenso erfolglos gewesen 
zu sein wie in früheren Fällen, und die Beschränkung der Beleuchtung scheint 
nicht die geringste Wirkung gehabt zu haben. In Paris wurden vorzügliche 
Maßnahmen gegen die Luftschiffstreifzüge getroffen. Die Erklärung im 
Unterhause, daß nur drei Flugzeuge während der Luftangriffe aufgestiegen 
sind, klang fast spaßhaft. Lord Sydenham weist auf die technischen 
Schwierigkeiten bei den Abwehrgeschützen hin. Es wäre anders, wenn sie 
von Mannschaften bedient würden, die in den Schützengräben Erfahrung 
i, der Bekämpfung feindlicher Flugzeuge erwarben. Die Einschränkung 
der Straßenbeleuchtung ging zu weit. Der Redner betont den Unterschied 
in der Verteidigung von London und Paris und beklagt das lange Zögern,
	        
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