Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

860 Grefjbritanunien. (November 10.) 
Asquith versicherte Serbien, daß es ruhig sein könne, daß die britische Re- 
gierung seine Unabhängigkeit als ein wesentliches Ziel der Alliierten be- 
trachtet. Aber diese Erklärung scheint noch unbestimmter als diejenige Greys. 
Wenn die Unabhängigkeit Serbiens in einigen Wochen der Vergangenheit 
angehört, dann wird Asquith vielleicht gar nicht in Sorgen sein, was die 
Auslegung seiner Worte betrifft. Vielleicht wird das Haus dann erfahren, 
wieviel oder wie wenig seine Worte bedeuteten. Milner schließt: Was mich 
über das Kabinett beunruhigt, ist, daß die Elemente der Kraft aus- 
scheiden; es verlor Carson, es verliert, mindestens zeitweilig, Kitchener. Ich 
wage vorauszusagen, daß Kitcheners Abwesenheit sich sehr beträchtlich hin- 
ziehen wird. 
Lord Courtney: Die Bedeutung der neulichen Erklärung von Asquith 
scheint ungenügend verstanden worden zu sein. Wenn die Deutschen auf 
der Westfront keinen Fuß vorrückten, so können wir nicht sagen, daß wir 
vorrückten und sie zurückwichen. Dennoch wurden kräftige, energische, 
tragische Angriffe gemacht, um zu versuchen, die Demarkationslinie zu ver- 
ändern. Die Lage an der Westfront ist die, daß wir nicht gesiegt haben 
und nicht besiegt sind. Die Lage an den Dardanellen ist die eines un- 
möglichen Abenteuers. Auch die Lage zur See weist letzten Endes dieselbe 
Tatsache auf, da längere Zeit keine Veränderung stattfand und anscheinend 
selbst die Möglichkeit einer Veränderung der Lage nicht angenommen wird. 
Wir beherrschen die Meere, können aber die deutsche Flotte nicht zu einer 
Schlacht zwingen. Der Redner fuhr fort: Die alte, von vielen Generationen 
aufgebaute Zivilisation ist fast zerstört, der Krieg hat den Stand der 
Zivilisation herabgesetzt, große soziale Rückschritte herbeigeführt und die 
Bürgschaften der persönlichen Freiheit genommen. Es ist daher nicht über- 
raschend, daß man zu fragen beginnt, ob kein Ausweg aus dieser Lage 
möglich ist. Wenn die einzige Alternative die wäre, daß wir unter Fremd- 
herrschaft gerieten, so dürften wir in unseren Anstrengungen nicht nach- 
lassen. Wir müssen frei sein oder untergehen. Ich glaube jedoch, daß es 
eine andere Möglichkeit gibt. Die Leidenschaft für nationale Unabhängig- 
keit ist ruhmvoll, aber sie muß mit der Möglichkeit internationaler Freund- 
schaft versöhnt werden, wenn die Zivilisation bestehen bleiben soll. Der 
Gipfel der Tragödie ist, daß genau dasselbe, was wir sagen und glauben, 
in Deutschland mit derselben ehrlichen Ueberzeugung gesagt und geglaubt 
wird. Dies führt ebenfalls zu dem Schlusse, daß es einen Ausweg aus 
der Sackgasse geben muß. Ich fordere die Regierung nicht auf, jetzt den 
Ausweg zu zeigen. Ich will nicht selbst die Bedingungen der Versöhnung 
aufzustellen versuchen. Ich will aber einige Punkte erörtern, die für die 
Möoglichkeit eines künftigen Ausgleichs wesentlich wären. Eine unentbehr- 
liche Grundlage des Ausgleichs ist die Befreiung Belgiens und Nordfrank- 
reichs. Sonst müssen wir weiterkämpfen. In Deutschland ist der Gedanke 
weitverbreitet, daß England eine Kriegsentschädigung zahlen müsse. Es 
gibt keinen Engländer, der jemals zustimmen würde, daß England eine 
Kriegsentschädigung auferlegt wird. Endlich ist die Frage der Freiheit der 
Meere ein geeigneter Gegenstand für Friedensverhandlungen. 
10. Nov. Ministerielle Guildhallreden. 
Bei dem Festmahle in der Guildhall aus Anlaß der Einführung 
des neuen Lord Mayors bringt der Staatssekretär des Innenamtes Sir 
John Simon einen Trinkspruch auf die Alliierten aus. Die Erfahrungen 
in diesem Kriege hätten nur die Ansicht bestärkt, daß die Zivilisation um 
ihren Bestand gegenüber der Herrschaft der Mittelmächte kämpfe. Da jetßzt 
der wahre Zweck der unmenschlichen Methoden Deutschlands ans Licht ge-
	        
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