Frankreich. (Mai 31.) 909
und Garibaldi die nationale Einheit begründet hat. Es wird für das Recht
kämpfen, das mit der Kunst das erhabenste Geschenk seines Genius war.
Frankreich grüßt mit seinem Degen das in seiner Rüstung knirschende
Italien. Jetzt wird sich unsere Brüderlichkeit erneuern. Lassen wir nun
senen vibrierenden Schrei, da er aus unserem Herzen kommt, auf unsere
Lippen steigen: „Es lebe Italien!“
Die Ansprachen Deschanels und Vivianis werden mit langanhaltendem
Beisall ausgenommen und einstimmig wird ihr Anschlag beschlossen.
Der Präsident des Pariser Stadtrats richtet an den Bürger-
meister von Rom folgende Depesche: In der großartigen Stunde, in der
Italien sich erhebt, um sein Schicksal zu erfüllen und mit seinen Ver-
bündeten die Freiheit der Völker zu verteidigen, richte ich an Sie im Namen
meiner Kollegen vom Stadtrat den Ausdruck unserer brüderlichen Freund-
schatt. Unsere Herzen schlagen mit dem Ihrigen und Paris grüßt Rom.
Im Senat erklärt Präsident Dubost bei Eröffnung der Sitzung,
Frankreich begrüße gleich einem Siege die entscheidende Handlung, durch
die Italien sich gegen die Barbaren erhöbe, die noch den Boden ZItaliens
beschmutzten. Ministerpräsident Viviani sagt: Die Ehre Italiens wird es
sein, durch seine Festigkeit die Ränke einer Nation zunichte gemacht zu
haben, die sich so weit erniedrigt hat, es zu beschimpfen, nachdem sie es
lange angefleht hatte.
31. Mai. Caillaux über Delcassés Schuld am Kriege.
Das südamerikanische Militärfachblatt „La Gazeta Militar“ berichtet,
daß der frühere Ministerpräsident Caillaux bei seinem Besuche in Rio de
Janeiro Ende 1914 folgendes im vertrauten Kreise gesagt habe: Unser
Krieg gegen Deutschland ist Wahnsinn und Verbrechen. In Paris würde
man mich steinigen, wenn ich das öffentlich sagte. Trotzdem ist es so.
Delcassk trägt die ganze Schuld am Kriege, denn niemals kann er es dem
Deutschen Kaiser vergessen, daß er ihn nach der ersten Marokkokrise im
Jahre 1905 zwang, das Ministerium zu verlassen. Wir Franzosen holen
nur für England die Kastanien aus dem Feuer. Von Rußland können
wir nie Dank erwarten; sobaid wir ihm kein Geld mehr leihen können,
werden wir dem Freunde an der Newa gleichgültig sein.
Während ich Minister war, wollte ich gute Beziehungen zu Deutsch-
land anknüpfen, da ich überzeugt bin, daß Frankreich und Deutschland ver-
eint unbesiegbar sind. Außerdem wäre es für die allgemeine Kultur von
größtem Vorteil. Als die Deutschen uns im August mit ihrem Eilvormarsch
bis zur Marne erdrückten, beschwor ich die Leiter der französischen Regie-
rung, sofort mit dem Kaiser Frieden zu schließen. Ich bin sicher, daß wir
damals einen billigen Frieden hätten erhalten können. Der Raiser wollte
England erdrücken und zerstören und brauchte dazu freie Hand. Wir hätten
keinen Geviertmeter französischen Bodens verloren; auch Belgien hätte
seinen König behalten. Deutschland hätte sich mit der Zahlung einer Kriegs-
kostenentschädigung und dem Versprechen, unsere Waffen nicht gegen Berlin
zu wenden, begnügt. Aber im Elysée hatte man Scham und ließ mich
nach Uebersee reisen.
Jetzt ist es zu spät. Deutschland ist unbesiegbar. Das beste, was nach
einer ungerechtfertigten Verwüstung herauskommen kann, wird ein künst-
licher, durch allgemeine Erschöpfung veranlaßter Friede sein mit schlum-
mernden Zwistigkeiten. Wenn wir kein Gebiet und kein Geld opfern wollen,
werden wir keinen Frieden haben. Den historischen Augenblick haben wir
verpaßt, und auf dem Gewissen Delcasses und Poincarcs lastet diese gigan-
tische Schuld. Das deutsche Volk wird sich nicht vor dem Einzug des