Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

912 Krankreich. (Juni 18.—24.) 
alle anderen dienstfähigen Kräfte aufgeboten worden sein. Die Kammer 
habe deshalb die Pflicht, die Kontrolle über die Kriegsverwaltung in strengster 
Weise auszuüben, und sie könne diese nationale Pflicht nur durch den Er- 
laß eines Gesetzes erfüllen, das den festgestellten Mißbräuchen bis zum Ende 
des Krieges vorbeuge. 
Die Sozialisten Valette und Raffin-Dugens bringen eine lange 
Liste von Fällen vor, in denen diensttaugliche Personen auf Empfehlung 
einflußreicher reaktionärer Persönlichkeiten dem Felddienst entzogen worden 
sind. Der eine Redner erzählt, daß heute noch Angehörige der reichsten 
Familien im Departement Isère in den Hochöfen von Allvard als Arbeiter 
eingeschrieben seien und sich so ihrer Militärpflicht entzögen. Raffin-Dugens 
greift die Regierung Vivianis wegen dieser Ungesetzlichkeiten sehr heftig an. 
Er behandelt sie als ein Ministerium, das unter Verletzung der Menschlich- 
keit ins Leben getreten sei und nun durch ein System der Willkür und der 
Günstlingswirtschaft zur Diktatur gelange. 
Als letzter Redner tritt General Pedoya, der Vorsitzende der Armec- 
kommission, für den Antrag Dalbiez ein, indem er ebenfalls eine lange 
Reihe von Dienstentziehungen aufzählt, die der Kommission signalisiert 
worden seien. Die Rechte vollführt während dieser Rede einen derartigen 
Lärm, daß die weitere Debatte schließlich vertagt werden muß. 
18. Juni. Die Kammer nimmt einen Gesetzentwurf an, der 
bestimmt, daß alle auf dem Schlachtfelde gefundenen nicht identi- 
fizierten toten Soldaten verbrannt werden sollen. 
19. Juni. Der „Temps“ meldet, daß der Vorstand des franzö- 
sischen Reederverbandes bei der Regierung Einspruch gegen die 
willkürliche Reqguirierung französischer Handelsschiffe er- 
hoben hat. 
Der Vorstand erklärt, daß beim Ausbruch des Krieges eine be- 
deutend größere Anzahl von Handelsschiffen vom Kriegsminister requiriert 
worden sei, als für den Heeresbedarf nötig war, und daß dadurch die 
Tätigkeit der Handelsflotte lahmgelegt worden sei. Die Regierung bat 
den Einspruch als berechtigt anerkannt und übertrug infolgedessen das Recht 
des Kriegsministers, Schiffe zu requirieren, auf das Unterstaatssekretariat 
der Handelsmarine, das die Interessen der Handelsmarine mit dem Kriegs- 
bedürfnisse in Uebereinstimmung bringen und dementsprechend eine Neu- 
regelung der Requirierung von Handelsschiffen vornehmen soll. Der Umter- 
staatssekretär ist auch ermächtigt worden, im Falle von Meinungsverschieden- 
heit zwischen der Regierung und den Reedern einen Entschädigungsbetrag 
für ein requiriertes Handelsschiff festzusetzen. 
24. Juni. (Kammer und Senat.) Antrag Dalbiez. 
Die Parteien der Kammer einigen sich auf eine neue vom Heeres- 
ausschuß vorgeschlagene Fassung des Antrags Dalbiez. Der Entwurf 
bestimmt nunmehr in seinem ersten Artikel, daß sämtliche felddiensttauglichen 
Militärpersonen, die in den verschiedenen öffentlichen Verwaltungszweigen 
verblieben sind, an die Front heranzuziehen und, soweit wie möglich, zu 
ersetzen sind. Der zweite Artikel bestimmt, daß in jedem Armeebezirk ge- 
mischte Kommissionen zu ernennen sind unter Heranziehung von Industrie- 
unternehmern und Arbeitern, denen die Aufgabe zufällt, die Arbeiter zu 
bezeichnen, die zur Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit in allen für 
den Staat arbeitenden Betrieben unentbehrlich sind. Die abkömmlichen
	        
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