Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

914 Frankrei. (Juni 26.—29.) 
vor und ermahnt das Publikum, sein Geld mehr als bisher dem Staate zu- 
zuführen. Der Absatz der Schagscheine für die nationale Verteidigung sei in 
Frankreich ebenso stark wie die Subskription auf die Anleihe in England, aber 
*l langsam, und es seien nur die kleinen Kapitalisten, die kaufen. Das Groß- 
apital halte sich zurück; es rechne auf künftige Anleihen mit noch größeren 
Gewinnen; dabei habe man aber gerade den Obligationen der nationalen 
Verteidigung bereits die Berücksichtigung bei einer späteren Konversion ge- 
währleistet. Ribot deutet weiter an, daß das Großkapital in Wirklichkeit 
die Notlage absichtlich verschärfe, um das Parlament in der Frage der 
Einkommensteuer mürbe zu machen. Er äußert sich sodann über das Ver- 
langen der Budgetkommission nach einer Aufklärung über die Absichten der 
Regierung in bezug auf die Deckung der Kriegsanleihen und gibt zu. 
daß die Reform der Einkommensteuer in Betracht zu ziehen sei. Die Regie- 
rung habe aber noch keinen Plan für diese Reform aufgestellt, und sie möchte 
keine voreiligen Beschlüsse fassen, die die „heilige Einigkeit“ stören könnten. 
26. Juni. (Kammer.) Der Antrag Dalbiez wird an- 
genommen. 
Eine längere Aussprache knüpft sich an den Artikel, der den Ersatz 
der in der Kriegsindustrie beschäftigten Arbeiter betrifft. Kriegsminister 
Millerand präzisiert den Zweck der Vorlage dahin, die Arbeit nicht ge- 
eigneter Leute durch solche zu ersetzen, die durch eine gemischte Kommission 
von Arbeitgebern und Arbeitern ernannt werden. Das Gesetz werde durch- 
geführt, ohne die Dienstzweige hinter der Front zu desorganisieren, wie 
z. B. den Automobildienst, der ebenfalls zahlreiche und erfahrene Arbeiter 
brauche. Im Verlaufe der Debatte erklärt der Minister Sembat, er 
werde von den Unternehmern verlangen, daß die anläßlich des Streikes 
entlassenen Arbeiter wieder eingestellt werden. Man erfährt daraus, daß 
das Eindrängen der Drückeberger in die Kriegswerkstätten und die Herab- 
setzung der Löhne zu Ausständen geführt haben, von denen die Presse bis- 
her nichts hat veröffentlichen dürfen. 
Die Kammer nimmt schließlich die einzelnen Artikel der Vorlage, so- 
wie den ganzen Entwurf einstimmig mit 488 Stimmen an. 
W. Juni. Der am 13. April 1915 zwischen Frankreich und 
China abgeschlossene Vertrag wird ratifiziert. 
Der Vertrag enthält Vorschriften über die Aufrechterhaltung der Ord- 
nung an der chinesisch-anamitischen Grenze; China verpflichtet sich darin, 
in dieser Beziehung Frankreich ähnliche Vorteile zu gewähren, wie es solche 
selber nach dem früheren Vertrage vom 4. Januar 1909 genießt. 
29. Juni. Das Moratorium für Versicherungsgesellschaften 
und Sparbanken wird um weitere 60 Tage verlängert. 
29. Juni. (Senat.) Die Vorlage über die provisorischen 
Budgetzwölftel für Juli, August und September wird an- 
genommen. 
Kriegsminister Millerand berichtet über die Ergebnisse der getroffenen 
Maßnahmen zur Verstärkung der Produktion von Ausrüstung und Munition. 
Frankreich sei in neun Monaten dazu gekommen, die Produktion zu ver- 
sechsfachen, die für die 75er Geschosse unaufhörlich gestiegen sei. Der 
Minister gibt beruhigende Zusicherungen über die schwere Artillerie und 
die Gewehrfabrikation. Während des ersten Vierteljahres 1915 habe sich 
die Produktion von Maschinengewehren verdoppelt, ebenso für alle anderen
	        
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