Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Kranbkreich. (Dezember 23. 24.) 943 
genen Weise ausgestaltet werden, man müsse auf die Anleihe zurückgreifen. 
Ueber den gezeichneten Anleihebetrag, sagt der Minister, wolle er keine Zahlen 
nennen, wohl aber erklären, daß das Land dem Rufe der Regierung gefolgt 
sei und daß niemals eine größere Zahl von Zeichnern vorhanden gewesen 
sei als jetzt. Die Anleihe werde aus den Ersparnissen Frankreichs zusammen- 
gebracht, die Spekulation habe keinen Anteil daran. Der größte Teil der 
Zeichnungen sei voll eingezahlt. 
23. Dez. General Joffre, der kürzlich 14 Tage in Paris 
weilte, wo er die Beratungen des Geheimen Kriegsrates der Ver- 
bündeten leitete, äußerte sich, wie über Genf gemeldet wird, zu den 
Mitgliedern des ständigen Kammerausschusses über die Kriegslage. 
Er bezeichnet sie im Westen als befriedigend, warnt aber die Regie- 
rung und die Kammermitglieder davor, sich allzu großen Hoffnungen auf 
eine Offensive der Verbündeten hinzugeben. An den englisch-französischen 
Streitkräften, die dazu notwendig wären, fehle es nicht, aber eine Offensive 
ware in diesem Augenblick mit so gewaltigen Verlusten verbunden, daß er 
die Verantwortung dafür nicht übernehmen könne. Nur um die erste 
deutsche Linie in der Champagne zu durchbrechen, müßten 150 000 Mann 
geopfert werden, ebensoviele für den Durchbruch der zweiten deutschen Linie 
und weitere 100000 Mann für die dritte Linie. Die Sache würde also 
400000 Mann kosten und dann stände erst noch die Offensive zur Befreiung 
Belgiens bevor. Deshalb rät Joffre zum Warten, bis durch das Eintreffen 
der Millionenheere Kitcheners die englisch-französische Streitmacht im 
Vesten eine derartige Verstärkung erlangt hat, daß ein deutscher Widerstand 
nicht mehr möglich sein wird. Dies werde vor April oder Mai nicht mehr 
der Fall sein. 
In bezug auf den Balkanfeldzug vertrat Joffre offen den Stand- 
dunkt, da Serbien doch nicht zu retten sei, es besser wäre, das Saloniki- 
Unternehmen aufzugeben und die gesamten beteiligten 100000 Franzosen 
nach der Westfront zu schicken. Er ließ sich aber durch Briands Einspruch 
über den Verlust des Ansehens der Verbündeten von der Notwendigkeit 
überzeugen, den dortigen Feldzug fortzusetzen, indessen nur unter der Be- 
dingung, daß die Verbündeten imstande sind, eine Streitmacht von 500000 
Mann in und um Saloniki zu vereinigen. Das wurde ihm auch zugesagt, 
aber aus all seinen Aeußerungen über den mazedonischen Feldzug geht 
hervor, daß Joffre nicht an das Gelingen der Sache glaubt und ihr Unter- 
bleiben lieber gesehen hätte. 
24. Dez. (Senat.) Finanzminister Ribot gibt bei Erörterung 
der für das erste Vierteljahr 1916 beanspruchten Kredite Aufschlüsse 
über die Ergebnisse der fünfprozentigen Siegesanleihe: 
Um den Notwendigkeiten des Krieges zu entsprechen, haben wir 
sfoeben eine Anleihe unter schwierigen Bedingungen ausgegeben. Das Land 
hat in hohem Maße auf unsern Ruf geantwortet. In der Provinz haben 
sich zwei Millionen Zeichner gefunden, und mit Einrechnung von Paris 
übersteigt die Gesamtheit der Zeichner drei Millionen. Es gab eine Unzahl 
kleiner Zeichnungen. Das ist bewundernswert und zeigt, daß das Land be- 
greift, daß alle seine Kinder sich gegen die gemeinsame Gefahr zusammen- 
tun müssen. Diesen Zeichnern entbiete ich den Dank Frankreichs. In Eng- 
land haben uns 22000 Zeichner 600 Millionen gebracht. Ueberall wurde 
uns wirksame Unterstützung zuteil, was auf das allgemeine Gefühl zurück- 
zuführen ist, daß die Welt unter einer allzu schweren Last zu leiden hätte, 
Europaischer Geschichtskalender. LVI. 60
	        
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