Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Krankriich. (Dezember 25.,28.) 945 
teidigung zum guten Ende zu führen, nichts von Frieden oder von Friedens- 
verhandlungen. Wenn nicht, sofort Frieden oder wenigstens nicht die Ohren 
verschließen vor Friedensgerüchten. 
Im Laufe der weiteren Debatte werden zwei Resolutionen vor- 
gelegt. Die eine, die von Bourderon eingebracht worden ist, erklärt es für 
notwendig, die internationalen Beziehungen sofort wieder aufzunehmen. Sie 
erhält aber nur 76 Stimmen. Dagegen wird mit 2736 gegen 76 Stimmen 
bei 102 Enthaltungen eine andere Resolution angenommen, die in der 
„Humanité“ als „Manifest des sozialistischen Parteitages“ ver- 
öffentlicht wird und folgenden Wortlaut hat: 
„Unter dem Druck des brutalsten Angriffs ist die sozialistische Partei 
zusammen mit ganz Frankreich in den Krieg eingetreten für das Werk der 
nationalen Verteidigung, die jede Eroberungs- und Annexionspläne aus- 
schließt. Die Partei wird im Kriege verharren, solange nicht das französische 
Territorium befreit ist und der Bersuch der Hegemonie, für die der Angriff 
das Signal und der Beweis gewesen ist, gebrochen und die Bedingungen 
eines dauerhaften Friedens sichergestellt sind. Die Bedingungen eines solchen 
dauerhaften Friedens hat die sozialistische Partei bereits dargelegt. Jeder 
dauerhafte Friede muß, wie es schon Marx und die Internationale sagte, 
auf der Proklamation der Moral und des Rechts und auf der Errichtung 
der Gerechtigkeit unter den Völkern gegründet sein. 
Kein dauernder Friede, ohne daß die kleinen Märtyrernationen in 
ihrer ökonomischen und politischen Unabhängigkeit wiederhergestellt sind. 
Die eine hat den Angriff Oesterreichs erduldet, nachdem sie fast alle Bestim- 
mungen eines Ultimatums angenommen hat, das den Zweck hatte, sie zu 
demütigen und den Krieg zu provozieren, und obwohl sie über den Rest der 
Bestimmungen das Haager Schiedsgericht angerufen hatte. Die andere ist 
verwüstet, weil sie sich geweigert hatte, in ihrer Person einen internationalen 
Vertrag verletzen zu lassen, den alle Nationen unter ihren Schutz genommen 
hatten. Beide, Serbien wie Belgien, müssen aus ihrem Ruin wieder er- 
weckt werden. 
Kein dauerhafter Friede, ohne daß den unterdrückten Bevölkerungen 
Europas die freie Verfügung über sich wiedergegeben und ohne daß zwischen 
Frankreich und Elsaß-Lothringen im Sinne eines Rechts, das die Zeit 
nicht verjährt hat, das Band wiederhergestellt sei, das im Jahre 1871 die 
Brutalität der Gewalt zerrissen hatte, trotz der sozialistischen Proteste von 
Bebel und Liebknecht in Deutschland selber. Ist dieses Recht wiederhergestellt, 
wird Frankreich verstehen, sich klarsichtig und gerecht zu erweisen, indem es 
Elsaß-Lothringen selbst auffordert, aufs neue feierlich, wie es seine Vertreter 
vor der Nationalversammlung von Bordeaux getan hatten, seinen Willen, 
der französischen Gemeinschaft anzugehören, zu erklären. 
Aber wenn auch die verbündeten Regierungen diese Fragen von 
zugleich moralischer und territorialer Geltung durch ihren Sieg lösen 
können, bedarf es noch anderer Garantien, zu denen die Mitwirkung 
der neutralen, ja selbst der feindlichen Völker notwendig ist. Indem sie 
ihrerseits jede Politik der Annexionen und Eroberungen zurückweisen, indem 
sie sich streng an das Prinzip der Nationalitäten halten, werden die Ver- 
bündeten den Anklagen entgehen, die ungerechterweise von ihren Gegnern 
gegen sie erhoben werden. Aber sie haben noch größere Aufgaben in ihrer 
Eigenschaft als Kämpfer des Rechts und im Interesse der Zukunft der Welt, 
für die sie verantwortlich sind. Die Organisation eines internationalen 
Rechts erscheint der sozialistischen Partei, die sicher ist, hierin das Gewissen 
der Menschheit zu vertreten, als die zuverlässigste Garantie eines dauer- 
haften Friedens, indem die Verbündeten unter sich, und zwar alsbald, 
60“
	        
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