Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Stalien. (Februar 28.— März 15.) 951 
Eugenio Chiesa fragt die Regierung, an welchem Tage sie über eine 
von ihm eingebrachte Resolution beraten lassen wolle. Andere Kammer- 
mitglieder verlangen von der Regierung Erklärungen über die auswärtige 
Politik. Salandra erklärt, zugleich im Namen des Ministers des Aus- 
wärtigen Sonnino, daß die Regierung an ihren Erklärungen vom 
Dezember bis jetzt nichts zu ändern hätte, und bittet Chiesa, auf 
seiner Resolution nicht zu bestehen; im Falle, daß er es dennoch täte, bittet 
er die Kammer, deren Behandlung um sechs Monate zu verschieben. Chiesa 
erklärt, von Salandras Aeußerungen Kenntnis zu nehmen und nicht auf 
einer Erörterung über seine Resolution zu bestehen, welche jedoch als 
Meinungsausdruck des Einbringers auf der Tagesordnung verbleiben 
werde. Der Abg. Giretti fragt den Ministerpräsidenten und den Mi- 
nister des Aeußern, welchen Protest die Regierung bei der deutschen 
Regierung wegen Verletzung der Neutralität Luxemburgs zu machen ge- 
denke, die auch von der italienischen Regierung durch den Londoner Vertrag 
von 1867 garantiert sei. Der Unterstaatssekretär des Aeußern Borsarelli 
erklärt, angesichts des gegenwärtigen Augenblicks halte er es für angemessen, 
nicht zu antworten. Hierauf ging die Rammer zur Beratung des Budgets 
der auswärtigen Angelegenheiten über. 
Die Mehrheit stimmte der Regierungspolitik zu. Eine deutliche Absage 
gegen die Interventionspolitik erklärte die parlamentarische Gruppe der 
Sozialisten, indem sie die Tagesordnung Modigliari annahm. Sie bringt 
zum Ausdruck, daß es mehr als je geboten sei, sich mit aller Macht den 
der Intervention günstigen Strömungen zu widersetzen und sich zu jeder 
wirksamen Aktion zur möglichst schleunigen Beendigung des Kriegsgemetzels 
bereitzuhalten. 
W. Febr. Ein Aufsatz der dreibundfreundlichen Wochenschrift 
„Italia Nostra“ über die „natürlichen Grenzen“ macht Aufsehen. 
Siehe den Wortlaut Beck'sche Chronik d. Deutschen Kriegs Bd. III S. 454 ff. 
1. März. (Kammer.) Gesetzentwurf zur militärischen und 
wirtschaftlichen Verteidigung des Landes. 
Ministerpräsident Salandra bringt als Minister des Innern einen 
Gesetzentwurf zur militärischen und wirtschaftlichen Verteidigung des Landes 
ein. Er enthält Bestimmungen gegen die Spionage, über die strafrechtliche 
Verfolgung des Konterbandeschmuggels und verschärfte Strafen für die Ver- 
breitung militärischer Nachrichten durch die Presse. 
14.15. März. (Kammer.) Der Gesetzentwurf über Verteidi- 
gungsmaßnahmen wird angenommen. 
Justizminister Orlando begründet den Gesetzentwurf und sagt, vom 
juristischen Standpunkte aus trage er keinen Ausnahmecharakter. Alle Länder 
hätten in der Tat ähnliche Bestimmungen, wie sie der vorgeschlagene Gesetz- 
entwurf darstellt, mitunter mit viel schärferen Strafbestimmungen. Der 
Gesetzentwurf tue der Preßfreiheit und dem Rechte der freien Meinungs- 
dußerung keinen Abbruch. Die persönlichen Freiheiten würden nicht be- 
droht, da man darunter das Recht der Spionage nicht begreifen könne. 
Er glaube, daß die Freiheit in Einklang gebracht werden könne mit der 
Gewalt, die der Staat besitzen müsse, um den furchtbaren Rampf um seine 
Erxistenz auf dem internationalen Felde zu bestehen, aber wenn er heute 
gezwungen wäre, zwischen der Freiheit und der Sicherheit des Landes zu 
wahlen, so würde er mit Beklemmung, aber ohne Zaudern die Freiheit 
der Sicherheit des Landes opfern.
	        
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