Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Ilalien. (April 7.—Mai 4.) 953 
beeinträchtige und daß es ein törichter Gedanke sei, Italien zur Teilnahme 
am europäischen Konflikt zu veranlassen, um einem Großserbien ein Mittel 
zu geben, durch das Italien tödlich in der Adria getroffen werde. 
7. April. (Genua.) Eine große Kundgebung für den Krieg nahm 
einen ausgesprochen feindseligen Charakter gegen Deutschland an. 
Eine deutsche Fahne wurde verbrannt. Am Gebäude der Filiale des 
Norddeutschen Lloynd wurden die Schilder abgerissen und mit Füßen ge- 
treten. Vor dem belgischen Konsulat kam es zu Sympathiekundgebungen. 
Peppino Garibaldi wohnte den Demonstrationen bei. 
7. April. Der Abg. Cirmeni, ein persönlicher Freund Giolittis, 
erklärt in der Mailänder „Stampa“, die Verhandlungen Italiens 
mit ÖOsterreich-Ungarn scheinen jetzt in eine entscheidende Phase ge- 
treten zu sein. 
W. April. Die Zentralleitung der Gewerkschaften beschließt, 
gegen die Beteiligung Italiens am Kriege einzutreten und zusammen 
mit der sozialistischen Partei in der Bewegung für dieses Ziel zu 
verharren. 
4. Mai. Italien sagt sich formell vom Dreibund los, indem 
es in Wien folgende vom 3. Mai datierte Note überreichen läßt: 
Das Bündnis zwischen Italien und Oesterreich-Ungarn hat sich von 
Anfang an als ein Element der Bürgschaft für den Frieden bewährt und 
hatte zuerst das Hauptziel gemeinsamer Verteidigung. Angesichts weiterer 
Ereignisse und der neuen Lage, die sich aus ihnen ergab, mußten die Re- 
gierungen der beiden Länder sich ein anderes, nicht minder wichtiges Ziel 
stecken und richteten im Laufe der aufeinanderfolgenden Erneuerungen des 
Vertrages ihre Aufmerksamkeit darauf, die Kontinuität ihres Bündnisses 
zu erhalten, indem sie den Grundsatz vorgängiger Vereinbarungen bezüglich 
der Balkanverhältnisse festlegten, in der Absicht, die auseinandergehenden 
Interessen und Bestrebungen der beiden Mächte miteinander in Einklang 
zu bringen. Es ist einleuchtend, daß diese Abmachungen, wenn loyal beob- 
achtet, genügt hätten, eine haltbare Grundlage für eine gemeinsame frucht- 
bare Aktion darzubieten. 
Im Gegensatz hierzu stellte Oesterreich-Ungarn im Laufe des Sommers 
1914, ohne irgendein Einverständnis mit Italien zu treffen, ja, ohne ihm 
die geringste Benachrichtigung zugehen zu lassen und ohne sich irgendwie 
durch die Ratschläge zur Mäßigung beeinflussen zu lassen, welche ihm durch 
die Königliche Regierung gegeben worden waren, am 23. Juni Serbien 
das Ultimatum, welches die Ursache und der Ausgangspunkt des augen- 
blicklichen Kriegsbrandes in Europa wurde. Indem Oesterreich-Ungarn die 
Verpflichtungen, welche sich aus dem Vertrage ergaben, vernachlässigte, 
brachte es den Statusquo auf der Balkanhalbinsel von Grund aus in 
Verwirrung und schuf eine Lage, von welcher es allein Nutzen haben 
mußte, zum Schaden der allerwichtigsten Interessen, welche sein Verbün- 
deter so oft (als die seinen bestätigt und proklamiert hatte. Eine so 
slagrante Verletzung des Buchstabens und des Geistes des Vertrages recht- 
sertigte nicht nur die Weigerung Italiens, sich in dem ohne Einholung 
seiner Meinung hervorgerufenen Kriege an die Seite seiner Verbündeten 
zu stellen, sondern sie nahm sogar dem Bündnis mit demselben Schlage 
seinen wesentlichen Inhalt und sein Daseinsrecht. Sogar das Abkommen
	        
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