Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Italien. (Mai 20.) 961 
gelegten Gesetzentwurf um die außerordentlichen Befugnisse, deren sie be- 
darf. Diese Maßnahme rechtfertigt sich nicht allein durch Präzedenzfälle bei 
uns und den anderen Staaten jeder Regierungsform, sondern sie stellt 
auch die beste Ordnung und sogar die mildeste Form derjenigen Befugnisse 
dar, welche unsere in Kraft stehende Gesetzgebung der Regierung auch in 
anderen Fällen zuweist, wo es sich um das höchste Gesetz handelt, nämlich 
um das Wohl des Staates. 
Ohne prahlerische Worte und ohne Stolz, aber mit dem tiefen Ver- 
ständnis für die Verantwortung, die uns in dieser Stunde zusällt, haben 
wir das Bewußtsein, dafür Vorsorge getroffen zu haben, was die edelsten 
Bestrebungen und die vitalsten Interessen des Vaterlandes erforderten. Denn 
in seinem Namen und ihm ergeben, richten wir bewegt einen glühenden 
Avpell an das Parlament und über das Parlament hinaus an das Land 
dahin, daß alle Meinungsverschiedenheiten beigelegt werden mögen, und 
daß von allen Seiten aufrichtiges Vergessen sich darauf herabsenke. Partei- 
und Klassengegensätze, die in gewöhnlichen Zeiten immer zu achtenden per- 
sönlichen Ansichten und selbst die Gründe, die dem Leben einen täglichen 
furchtbaren Kontrast der Bestrebungen und Grundsätze geben, müssen heute 
verschwinden angesichts der Notwendigkeit, die jede andere begeistert an- 
gesichts des Glücks und der Größe Italiens. Alles andere müssen wir von 
heute ab vergessen und dürfen uns nur daran erinnern, daß wir alle 
Italiener sind, daß wir alle mit demselben Glauben und derselben Glut 
Italien lieben. Mögen die Kräfte aller in einer einzigen Kraft zusammen- 
gefaßt werden, die Herzen aller sich zu einem einzigen Herz zusammen- 
schließen, möge ein einheitlicher Wille zu dem beschworenen Ziele führen 
und die Kraft und der Wille ihren einzigen leidenschaftlichen und helden- 
haften Ausdruck finden in der Armee und der Flotte Italiens und ihrem 
erhabenen Führer, der sie zu den Schicksalen einer neuen Geschichte anführt. 
Es lebe der König! Es lebe Italien! 
Jeder Satz der Rede Salandras wird mit lebhaftem anhaltendem 
Beifall aufgenommen. Am Schluß erfolgt eine begeisterte Kundgebung mit 
Rufen: „Es lebe der König! Es lebe Italien! Es lebe die Armee!“ Nur 
die offiziellen Sozialisten bleiben ruhig und erheben sich nicht von ihren 
Pläten. Der Schluß der Rede wird mit einer stürmischen Kundgebung für 
die Armee, den König und Italien aufgenommen. 
Salandra beantragt sodann die Einsetzung einer Kommission 
zur Prüfung des Gesetzentwurfes und bittet, daß die Kommission, 
deren Mitglieder von dem Präsidenten dazu berufen seien, noch heute zu- 
sammentrete und berichte. Sein Antrag wird angenommen. Sodann er- 
hebt sich Sonnino und legt das Grünbuch vor, von der Kammer und 
der Tribüne mit langen Sympathiekundgebungen begrüßt. Der Kammer- 
präsident teilt sodann die Namen der in die Kommission berufenen Depu- 
tierten mit. 
Die Regierung verläßt die Kammer, um die Erklärungen vor dem 
Senat zu wiederholen. Der Vorschlag der Regierung, dem Entwurfe die 
Dringlichkeit zuzuerkennen, wird in geheimer Kammerabstimmung mit 367 
gegen 54 Stimmen angenommen. Die Kommission wird von den fol- 
genden Deputierten gebildet: Arlotte, Aguglie, Boselli, Luzzani, Coccertu, 
Compans, Baccelli, Guido, Guicciardini. Barzilai, Bettolo, Bianchi, Leo- 
nardo Credero, Dari, Turati, Meda, Bissolati, Pantano und Finoschiaro. 
Die Kommission tritt in dem Saale von Monte Citorio zusammen. Mit 
Ausnahme Turatis sind alle Kommissionsmitglieder anwesend. Die Kom- 
mission ernennt zum Präsidenten den Berichterstatter Boselli als Aeltesten 
der Kammer und zum Sekretär Barzilai. 
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