Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

982 Stalien. (Juni 6.) 
führen können, auch nur begonnen haben. Man findet zur Erklärung dieser 
widersinnigen Zumutung, die noch verschiedentlich wiederkehrt, schlechterdings. 
nur die Absicht, die Verhandlungen zu vergiften und die österreichisch- 
ungarische Kriegführung zu stören. Und das gleiche Vorhaben spricht aus 
dem am 23. Januar ergehenden und am 17. Februar nochmols ausdrücklich 
als Veto gekennzeichneten Einspruch der italienischen Regierung gegen jede 
neue Operation in Serbien, bevor nicht eine Vereinbarung über Kompen- 
sationen abgeschlossen sei. 
Eine weitere Schwierigkeit entsteht dadurch, daß die italienische Re- 
gierung es ablehnt, ihre Forderungen zu nennen. Auf das Bemerken Fürst 
Bülows, Italien müsse seine Ansprüche präzisieren, da andernfalls Oester- 
reich-Ungarn eine „Schraube ohne Ende“ befürchte, erwidert Sonnino (Tele- 
gramm an Avarna und Bollati vom 26. Januar), zuerst müsse sich die 
Wiener Regierung bereit erklären, auf der Grundlage der Abtretung öster- 
reichisch-ungarischen Gebiets zu verhandeln. Die Diskussion über diesen 
Punkt, in deren Verlauf die Wiener Regierung die Frage der ihr von 
Italien für die Besetzung von Valona und des Dodekanes geschuldeten 
Kompensationen im Sinne des Artikels 7 aufwirft, zieht sich bis 12. Februar 
hin. An diesem Datum wird Avarna mit der Erklärung beauftragt, daß 
die italienische Regierung jede Anregung oder Initiative zurückziehe, sich 
an den Wortlaut des Artikels 7 halte und jede militärische Aktion auf 
dem Balkan als unvereinbar mit diesem Artikel erkläre, sofern nicht ein 
Abkommen bezüglich der Kompensationen vorausgegangen sei. Nach einer 
Reihe weiterer Verhandlungen, die sich in der Hauptsache darum drehen, 
ob die Erörterungen über eine Kompensation im Augenblick des Beginns 
der militärischen Operationen auf dem Balkan eingeleitet oder beendigt 
sein müssen, sormuliert Sonnino am 4. März den italienischen Standpunkt 
in den bereits bekannten Leitsätzen. 
Am 8. März unterrichtete Sonnino die italienischen Botschafter in 
Wien und Berlin über eine Unterredung mit Bülow, der ihm erklärt habe, 
daß die deutsche Regierung sich eifrig bemühe, die Verhandlungen vorwärts 
zu bringen, und am folgenden Tag meldet Sonnino die Mitteilung Bülows, 
daß die Wiener Regierung nunmehr bereit sei, auf der Grundlage der 
Abtretung österreichisch-ungarischen Gebiets zu verhandeln. 
Im folgenden Telegramm vom 10. März wird Avarna beauftragt, 
in Wien die italienischen Vorbedingungen zu unterbreiten, nämlich: 1. ab- 
solutes Geheimnis der Verhandlungen; jede Indiskretion über den Verlauf 
oder auch nur die bloße Tatsache der Verhandlungen würde die italienische 
Regierung zur Zurückziehung ihrer Vorschläge und zum Abbruch der Ver- 
handlungen veranlassen. 2. Sofortige Ausführung des Uebereinkommens, 
sobald es abgeschlossen ist. 3. Das zu treffende Abkommen muß bezüglich 
der möglichen Anrufung des Artikels 7 die ganze Dauer des Krieges um- 
fassen. Zum Schluß schlägt Sonnino vor, die Dauer der Verhandlungen 
auf „ein paar Wochen“ zu beschränken, nach deren Ablauf jeder Vorschlag 
der einen oder andern Partei nichtig sein und beide ihre Handlungsfreiheit 
zurückerhalten sollen. Es liegt nahe, dieses ungewöhnliche Ansinnen, zumal 
im Zusammenhang mit der Forderung des strengen Geheimnisses, dahin 
auszulegen, daß die italienische Regierung gerade noch „ein paar Wochen“ 
brauchte, um die Abmachungen mit der Entente zu Ende zu führen und 
gegen Oesterreich losschlagen zu können. Vielleicht hat Fürst Bülow an 
dergleichen gedacht, als er in einer am 17. März stattfindenden Unterredung 
mit Sonnino die Bemerkung machte „ vorausgesetzt, daß ihr nicht be- 
reits zum Kriege entschlossen seid, und zwar noch im März“. Die aus den 
folgenden Telegrammen hervorgehenden Wiener Einwendungen beziehen sich
	        
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