998 Ilalien. (Dezember 7. 8.)
daß das italienische Volk in allen seinen Schichten und in allen seinen
Klassen jetzt von dieser Notwendigkeit und Gerechtigkeit überzeugt sei, weit
besser als im vergangenen Mai, und daß es sich infolge dieser tiefen Ueber-
zeugung bereit zeige, alle für die Fortführung des Krieges notwendigen
Opfer zu bringen. Salandra schließt: Unsere Marine ist der ihr zugefallenen
Aufgabe gewachsen und wird sie mit Tapferkeit und Gewissenhaftigkeit er-
füllen. Die Völker der Adria wissen, daß dieser Krieg ganz besonders der
ihre ist. Daher fassen sie seine unvermeidlichen Opfer mit soviel Kraft und
Ruhe ins Auge.
Gegen Schluß der Sitzung der Kammer befürworten mehrere Redner
Tagesordnungen. Ciccotti (unabhängiger Sozialist) begründet eine Tages-
ordnung, in der es heißt, daß die Kammer die Erklärungen der Regierung
vernommen habe und sich zum Echo des edlen Gefühls mache, mit dem
das Land in dem Konuflikt über die schweren Opfer hinwegsehe, und daß
die Kammer entschlossen sei, jede Anstrengung zu unterstützen, die geeignet
sei, die erhabensten Gründe internationaler Gerechtigkeit und die berechtigtsten.
nationalen Bestrebungen triumphieren zu lassen. Die Kammer bereitet
Ciccotti eine warme Kundgebung. Mehrere Abgeordnete umarmen ihn.
Das älteste Mitglied der Kammer Boselli begründet eine Tagesordnung,
in der die Politik der Regierung gutgeheißen wird. Unter Beifallskund-
gebungen entbot er den Gefallenen, den Kämpfern und dem König, der
inmitten seines Volkes kämpfe, seinen Gruß. Salandra erklärte sich für die
Tagesordnung Boselli, der sich Ciccotti anschloß. Nach einigen Erklärungen
geht man zur Abstimmung über. Die Tagesordnung Boselli wird in
namentlicher Abstimmung mit 405 gegen 48 Stimmen angenommen.
Nur die offiziellen Sozialisten stimmten dagegen. Das Ergebnis der Ab-
stimmung wird mit Beifall ausgenommen. Eine Tagesordnung des Sozia-
listen Mazoni über die Abschaffung der politischen Zensur wird durch Hand-
aufheben mit ungeheurer Mehrheit abgelehnt.
7. Dez. (Kammer.) Regierung und Vatikan.
Anläßlich der Beratung des Justiz= und Kultusbudgets verlangt der
Abgeordnete Lombardi einen sofortigen Protest gegen die Behauptungen
des Papstes im letzten Konsistorium, daß die Rechte und Freiheiten der
römischen Kirche gegenwärtig geschmälert seien. Lombardi erklärt, er er-
warte vom Minister Orlando, den er an seine Rede in Palermo erinnert,
eine neue feierliche Erklärung, in der der zivilisierten Welt bekräftigt werde,
daß Italien stets die volle geistige Freiheit des Papstes aufrecht erhielt und
auch jetzt noch aufrecht erhält.
Justizminister Orlando erwidert, die Regierung habe an der dem
Garantiegesetze seit 1870 von allen Regierungen ohne Unterschied der Par-
teien gegebenen Auslegung nichts zu ändern. Dieses Gesetz sei stets als
ein Dokument des objektiven nationalen inneren Rechtes betrachtet worden,
ohne irgendeinen kontraktlichen Charakter. Der Minister bekräftigt, daß
die beim Heiligen Stuhle beglaubigten Vertreter freiwillig von Rom ab-
reisten. Italien könne stolz sein, im gegenwärtigen Konflikt so gehandelt
zu haben, daß der Papst sich einer vollkommenen Freiheit erfreuen konnte.
So konnten in Rom Trauergottesdienste abgehalten werden für alle ge-
fallenen Soldaten ohne Unterschied der Nationalität. So konnte in Rom
ein Konsistorium abgehalten werden, an dem Kardinäle aller kriegführenden
Staaten frei teilnehmen konnten.
§. Dez. (Kammer.) Beratung des vorläufigen Budgets für
1915/16. Ankündigung der 3. Kriegsanleihe.