Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Italien. (Dezember 11.) 999 
Schatzminister Carcano erklärt: Das endgültige Budget für 1914/15 
verzeichnet eine Ausgabenvermehrung, die durch die militärische Vorbereitung 
und die Kriegsoperationen verursacht worden ist. Der europäische Krieg 
hat auch zu einer Verminderung der Einnahmen, besonders der Zolleinkünfte 
beigetragen. Die Regierung hat nicht verfehlt, die nötigen Maßnahmen zu 
ergreifen, um die Einnahmequellen zu vermehren. Zu diesem Zweck hat 
man im Januar 1915 mit Erfolg eine nationale Anleihe von einer Mil- 
liarde zu 4½¼ % zu dem Kurse von 97 aufgelegt. Insgesamt schließt das 
endgültige Budget 1914 15 mit einem Fehlbetrag von 1907 Mil- 
lionen ab, der provisorisch durch eine schwebende Schuld und andere 
Finanzoperationen gedeckt wird. Für das Finanzjahr 1915°16 muß man 
die Emission einer neuen nationalen Anleihe ins Auge fassen. Die 
vom September 1914 bis November 1915 getroffenen Steuermaßnahmen 
zur Erhöhung der S Staatseinkünfte werden einen jährlichen Mehrertrag von 
375 Millionen ergeben, der für die Verzinsung mehrerer Milliarden aus- 
reicht. Die Wirkung des europäischen Krieges konnte auf die wirtschaftlichen 
Bedingungen des Landes nicht ohne Einfluß bleiben. Aber seit dem Monat 
Mai hat sich besonders dank der Willenskraft der arbeitenden Bevölkerung 
das wirtschaftliche Leben tätiger, kräftiger und fruchtbarer gestaltet. Wenn 
das Erntejahr 1915 weniger glücklich war, so erwartet man dafür eine 
besonders gute Erholung in den Einkünften der Industrie. Die wirtschaft- 
lichen Bedingungen und Bedürfnisse erheischen eine vorsichtige und allmäh- 
liche Erhöhung des Münzumlaufs. Die drei Emissionsbanken hatten am 
30. Juni 1914 für ihre Rechnung für 2199 Millionen Noten im Umlauf. 
Diese stiegen im Monat August auf 2612 Millionen und verringerten sich 
am 31. Oktober 1915 auf 2101 Millionen. Die Metalldeckung betrug 
1710 Millionen, also um 25 Millionen mehr als am 31. Juli 1914. Der 
Minister schloß mit der Versicherung, daß das italienische Volk wie die alli- 
ierten Völker zu allen Anstrengungen und allen Opfern bereit sei, um auf 
dem ruhmreich beschrittenen Wege bis zum vollständigen Siege zu beharren. 
11. Dez. (Kammer.) Fortsetzung der Budgetberatung. Das 
Budgetprovisorium für 6 Monate wird bewilligt. 
Schatzminister Carcano bemerkt auf verschiedene Anfragen, der Haus- 
haltsplan sei so gehalten, daß er, ohne die Lasten der Bürger zu vermehren, 
nicht allein die Deckung der bereits abgeschlossenen, sondern auch der von der 
Regierung weiter beabsichtigten Anleihen vorsehe. Der Haushalt trage ferner 
allen im Jahre 1916 vorzunehmenden Ankäufen Rechnung. Der Minister 
hebt hervor, daß das Werk der Vorbereitung des Krieges nicht mit dem 
Kriege selbst verwechselt werden dürfe. Italien hätte auch dann zum Kriege 
rüsten müssen, wenn es neutral geblieben wäre, wie schon das Beispiel der 
Schweiz beweise. Zur Wirtschaftspolitik bemerkt der Minister, die Regie- 
rung beschäftige sich mit der Wohlfahrt der Arbeit und mit dem Gedeihen 
der Werke sozialer Fürsorge. Die Regierung müsse direkt eingreifen, um 
eine Teuerung der notwendigen Bedarfsartikel zu verhüten, wie sie es schon 
zur Verhinderung der Getreideteuerung getan habe. In rein finanzieller 
Hinsicht sei die Regierung der Ansicht, daß es nicht möglich sei, die Zinsen 
der alten Anleihe einfach durch Aufnahme neuer Anleihen zu decken, wenn 
es auch nur provisorisch während des Krieges geschehen sollte, ohne den 
Staatshaushalt aus dem Gleichgewicht zu bringen. Dieser könne nur auf 
Grund einer günstigen finanziellen Lage gedeihen. Verschiedenen Abgeord- 
neten, die wünschten, das provisorische Budget möge nur für drei Monate 
Güttigkeit haben, anstatt der von der Regierung beantragten sechs Monate, 
antwortet Carcano, er behalte sich die politische Frage vor, mit der sich
	        
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